Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.
Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Unsere Woman in Tech: Anne Orfert
Heute erzählt uns Anne Orfert, Programmiererin bei Hanse Ventures, ihre Geschichte. Anne hat nach dem Abitur eine Ausbildung zur Fachinformatikerin gemacht und arbeitet seitdem als Programmiererin in den Sprachen Ruby on Rails, PHP, C, C++ und Java.
Annes Technikliebe hat begonnen, als sie mit elf Jahren ihren ersten Computer in Händen hielt:
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Gelegenheit, von einem Bekannten meines Vaters einen gebrauchten Computer zu kaufen. Fand ich super – hab’ ich gemacht. Genau wusste ich gar nicht, was ich damit machen kann, aber ich hatte ihn. Mein Vater und ich haben erstmal davor gehockt und ihn ausprobiert. Disketten, Röhrenmonitor, schwarz-weiß Display, eigentlich überhaupt keine Ahnung von irgendwas – aber ich war glücklich und hatte Spaß mit einem Pixel-Malprogramm und einem kleinen Tangram-Spiel.
Da der Computer unglücklicherweise nicht lange funktionierte und ich wirklich sehr traurig war, bekam ich kurz danach einen Computer mit Windows 95 geschenkt. Und seitdem gab es immer mindestens einen Computer in meiner Nähe.
Die richtige Faszination für Tech entwickelte sich dann mit dem Informatikunterricht in der Schule:
Das Interesse am Programmieren hat allerdings der Informatikunterricht geweckt. Dort wurden uns nicht nur Excel, Word und das EVA-Prinzip erklärt, sondern wir haben uns mit TurboPascal unsere Noten verdient.
Nachdem mir der Informatikunterricht zu Abi-Zeiten noch als einziges Fach in der Schule zugesagt hat, habe ich mich auch nach einer entsprechenden Ausbildung umgesehen. Die Informationen waren zwar diesbezüglich ein wenig dürftig, aber ich hatte Glück und habe nach einem Bewerbungsmarathon in letzter Minute eine betriebliche Ausbildung in Wismar als Fachinformatikerin der Anwendungsentwicklung bekommen.
Der Anfang in der Ausbildung gestaltete sich für Anne eher schwierig – allerdings nicht aufgrund ihres Geschlechts:
Mein Ausbilder war ein sehr strenger C-Programmierer, zu dem ich auf persönlicher Ebene keinen Draht gefunden habe – und umgekehrt. Zudem ist die Programmiersprache C auch nicht unbedingt die einfachste Einsteigersprache. Nachdem ich einen anderen Ausbilder bekommen und das Team gewechselt hatte, ging es aber Berg auf und ich hatte sehr viel Spaß am eigentlichen Beruf. Ich hatte auch das große Glück, dass ich direkt an großen, wichtigen Projekten mitarbeiten durfte.
Auch in der Berufsschulklasse wurden ein anderes Mädchen und ich sehr gut von den restlichen 26 männlichen Mitschülern aufgenommen. Hier gab es überhaupt keine Probleme. Auch von den Lehrern gab es keine Benachteiligung.
Nach der Ausbildung arbeitete Anne als PHP-Entwicklerin, mittlerweile hat sie sich auf Ruby on Rails spezialisiert.
Während der Ausbildung habe ich PHP, C, C++ und Java gelernt. Kurz darauf habe ich einen Job in Hamburg gefunden und meinen Lebensmittelpunkt dorthin verlegt. In dem Job habe ich dann fünf Jahre als PHP-Entwicklerin gearbeitet und Software für Versicherungen bzw. deren Sachbearbeiter entwickelt. Zu der Zeit bin ich auch auf keine Probleme als weibliche Entwicklerin gestoßen, ganz im Gegenteil.
Danach bin ich zu Hanse Ventures gewechselt. Hier ging es nun darum, „richtige“ Internetprojekte zu entwickeln. Eigentlich sollte ich mit meiner PHP-Erfahrung meinen Kollegen aus der Ruby-Welt unterstützen, um mit ihm PHP-Projekte zu entwickeln. Aber es kam anders und ich bin in seine Welt eingetaucht – Ruby on Rails. Damit arbeite ich nun seit sechs Jahren und habe seitdem diverse Startups in der Gründungsphase begleitet und technisch im Team entwickelt. Mein Alltag besteht aber natürlich nicht nur aus dem reinen „Hacken“. Es sind viele Absprachen, Meetings, Konzeptionen und teilweise auch skizzenähnliches Ausdenken von Software, das unseren Alltag ausmacht.
In ihrer gesamten Laufbahn wurde Anne nicht mit Vorurteilen konfrontiert, wohl aber mit überraschten Mienen:
Ich hatte nie das Gefühl, als Frau im IT-Team nicht ernst genommen zu werden. Klar, es hat oft Leute überrascht, wenn sie von mir Support zu einer technischen Frage erhalten. Es ist nun mal – leider – nicht alltäglich, dann eine Frau am Telefon zu haben. Aber das finde ich überhaupt nicht verwerflich.
„Bislang wurde ich als Frau in der IT immer ernst genommen.“
Viel spannender finde ich die Reaktion und teilweise „Erleichterung“ bei den Leuten. Öfter hatte ich das Gefühl, dass es gerade Frauen, leichter fiel, sich an mich zu wenden, wenn sie technische Fragen hatten. Ob das jetzt an meinem Geschlecht oder einfach meiner liegt, sei mal dahingestellt, aber gerade für Frauen ist die Hürde manchmal niedriger nachzufragen, wenn das Gegenüber auch eine Frau ist.
Natürlich begegnet mir auch heute noch oft ein „Ach ja?“, wenn ich sage, dass ich Programmiererin bin. Viele haben noch das Klischee vom einsamen, langhaarigen Hacker, der im dunklen Keller hinter fünf Monitoren sitzt, vor Augen. Damit das nicht so bleibt, versuche ich mit Initiativen wie RailsGirls und Jugend Hackt oder als Mentorin bei AppCamps solchen Klischees entgegenzuwirken. Auch ist mir positiv in Filmen oder Serien aufgefallen, dass es doch zunehmend weibliche Hacker gibt, die mich zum Schmunzeln bringen.
Dennoch sieht Anne die fehlenden Frauen in der Tech-Branche als problematisch an:
Ich bin natürlich dafür, dass mehr Frauen in der Tech-Branche arbeiten und das Geschlechterverhältnis ausgeglichener wird. Aber das möchte ich nicht nur für die IT-Branche – in jedem Bereich sind gemischte Teams von Vorteil. So auch in der pädagogischen Welt der Erzieher/innen, im Handwerkerberuf oder halt bei uns in der IT. Viele haben noch das Klischee vom einsamen, langhaarigen Hacker, der im dunklen Keller hinter fünf Monitoren sitzt, vor Augen.
Die Art und Weise Probleme anzugehen, ist manchmal doch unterschiedlich und kann so zu ganz neuen Lösungsmöglichkeiten führen. Das ist nicht nur wirtschaftlich von Vorteil, sondern auch fachlich. Außerdem ist es, wie bereits erwähnt, für andere Frauen manchmal leichter, auf andere Frauen zu zugehen – so z. B. im Supportbereich.
Auch wenn es um die Konzeption geht, ist es doch manchmal so, dass Frauen sich eher verstehen oder „die gleiche Sprache sprechen“. Ein gutes Beispiel sind auch Polizeiteams: Meines Wissens nach sind oft gemischte Teams unterwegs, da Frauen angeblich bei Konfliktsituationen beschwichtigender wirken. Auch sozial kann es also nur Vorteile geben.
Konflikte und Zickereien gibt es aber sowohl unter Frauen als auch unter Männern. Deshalb sind gemischte Teams nur von Vorteil, da ist sich Anne sicher.
Ich habe mal eine Situation erlebt, die fand ich sehr aufschlussreich. Eine Freundin von mir arbeitet in einer Immobilienfirma und dort sind die meisten Sachbearbeiterinnen weiblich. Wie man es ich vorstellt, gibt es hier oft Zickereien untereinander. Meine Freundin meinte dann mal zu mir: „Mit dir würde ich gerne tauschen: nur Männer – keine Zickereien“. Von wegen! Männer untereinander können auch richtige, trotzige Zicken sein.
Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer gegenüber Frauen nicht so zickig sind, wie auch Frauen gegenüber Männern nicht so extrem zickig sind. Aber das ist nur ein Gefühl, das ich natürlich nicht belegen kann. Trotzdem finde ich, dass man in allen Bereichen gemischte Teams bevorzugen sollte. Man liest auch oft, dass gemischte Teams viel bessere Leistungen erzielen, daher hoffe ich natürlich, dass die Diversity-Debatte bald der Vergangenheit angehört. Allerdings liegt das Problem aus meiner aktuellen Sicht eher an dem fehlenden Angebot an weiblichen IT-Kräften. Es ist wirklich nicht einfach, Frauen zu finden, die in der IT arbeiten wollen. Hier muss man wirklich viel früher dafür sorgen, dass kein Ungleichgewicht entsteht. „Das Diversity-Problem liegt eher am fehlenden Angebot an weiblichen IT-Kräften.“
Besonders wichtig sind weibliche Vorbilder:
Wie bereits erwähnt, hatte ich das große Glück guten Informatikunterricht zu bekommen – und zwar von einer Frau. Das hat mich wahrscheinlich auch blauäugig mit der Vorstellung in die Welt ziehen lassen, dass es überhaupt nichts Besonderes ist, als Frau in der IT zu arbeiten. Ich denke, solche Vorbilder sind sehr wichtig.
Auch aus gegebenem Anlass befasse ich mich gerade stärker mit der Jungs- und Mädchenrolle. Ich werde versuchen, meinem 14 Monate alten Sohn zu vermitteln, dass jeder alles erlernen kann. Auch, wenn es mich natürlich schon beeindruckt und unglaublich stutzig macht, wenn er bei dem Anblick vom Computer ausrastet, während seine fünf Wochen ältere Cousine es total kalt lässt, wenn die Maus am Laptop leuchtet.
Anne rät jedem, der auch nur ein bisschen Interesse an Tech hat, das Folgende:
Tut dieses Interesse nicht ab. Fragt nach. Und unterstützt eure Kinder, wenn sie Interesse an daran zeigen und verwehrt es ihnen nicht. Sucht euch Gleichgesinnte – egal, ob weiblich oder männlich. Seid mutig und sprecht, gerade im Internet, entsprechende Gruppen an. Fragt eure Lehrer, ob sie nicht an Projekttagen auch mal was Technisches machen können. Die Webseiten vieler Schulen würden es euch bestimmt danken.
Gerade die Geekettes, RailsGirls, WomenWhoCode oder andere diverse Gruppen sind Neulingen gegenüber aufgeschlossen und haben genau das Ziel, diese Neulinge zu erfahrenen Mitgliedern zu machen. Gerade auch bei Hackathons für Jugendliche, wie z. B. Jugend Hackt, lohnt sich auch eine weitere Anreise. Dort kann man Gleichgesinnte finden und sich austauschen.
Wie sind eure Erfahrungen als Frauen in der Tech-Branche? Und wie seht ihr Männer das – fehlen euch qualifizierte Frauen als Kollegen? Schickt uns eure Erfahrungen, Meinungen, Wünsche per Mail an redaktion@entwickler.de!
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