Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.
Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Unsere Woman in Tech: Margret Hesselmann
Heute erzählt uns Margret Hesselmann, Scrum- und XP-Coach für das Düsseldorfer Büro des indischen IT-Dienstleisters Tata Consultancy Services, ihre Geschichte. Ihre Fachgebiete sind agile Aspekte der Softwareentwicklung sowie Test-driven Development. Umfangreiche Erfahrung als Softwareentwicklerin sammelte sie bereits bei einem internationalen Mobilfunkausrüster. Dort lernte sie die agilen Methoden Scrum und Extreme Programming (XP) kennen und setzt diese erfolgreich in verschiedenen internationalen Projekten ein.
Margret konnte sich früher nicht vorstellen, Programmiererin zu sein – und das, obwohl ihre Lieblingsfächer Mathe und Physik waren:
Vor und während des Studiums der Medizininformatik konnte ich mir nicht vorstellen, eine Programmiererin zu werden. In der Einführungswoche an der Universität habe ich mir gemeinsam mit Kommilitonen die Räumlichkeiten des Rechenzentrums und die Unix-Rechner angeschaut. Ich erinnere mich an riesige Röhrenbildschirme.
Später im Grundstudium fand ich es spannend, Algorithmen für Problemstellungen zu erstellen und mathematische Beweise für die mathematischen und theoretischen Informatikfächer zu entwickeln. Das ist recht lange her. Bei meinen ersten Gehversuchen waren die verschiedenen Speicherkonzepte wichtig – also ‚First in, first out‘ oder ‚Last in – first out‘. Inzwischen gibt es Utilities für diese Aufgaben. Ich habe das im Grundstudium selber programmiert und fand die Suche nach dem besten Lösungsweg spannend.
Dabei hat mir sicherlich geholfen, dass bereits in der Schule Mathe und Physik meine Lieblingsfächer waren, denn die Grundlage dieser Fächer ist das logische Denken, genau wie bei der IT.
Nach dieser „Erweckung“ schlug Margret einen ziemlich geraden Karriereweg ein:
Nach meinem Studium der Medizininformatik mit Schwerpunkt auf neuronalen Netzen promovierte ich anschließend in Informatik über „Objekt-orientierte Entwicklung eines mobilen Workflow Management Systems“. Nach Promotionsende folgten Bewerbungen an Universitäten, um eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Ich höre heute noch meinen Doktorvater sagen, dass ein unbefristeter Arbeitsvertrag für Forschung und Lehre wie ein Hauptgewinn im Lotto sei.
Die verschiedenen Universitäten und deren Institute benötigten unerwartet lange für den Bewerbungsprozess. Als nach Monaten endlich eine Zusage kam, hatte ich bereits einen Arbeitsvertrag als Softwareentwicklerin bei einem internationalen Mobilfunkausrüster unterschrieben. Dort habe ich agilen Methoden Scrum und Extreme Programming kennengelernt und in verschiedenen internationalen Projekten eingesetzt. Im Jahr 2008 erfolgte dann der Wechsel zu Tata Consultancy Services. Der akademischen Welt bin ich als Gastdozentin und für Vorträge über Programmieren, Programmiersprachen und agile Prozesse an verschiedenen Universitäten verbunden geblieben. In der IT lernt man nie aus.
Der Weg geht ja noch weiter. Gerade in der IT hat man eigentlich nie ausgelernt – nicht nur, weil man es muss, sondern weil es Spaß macht.
Ich merke immer wieder, wie gerne ich komplexe Fragestellungen im Bereich von Softwarecode und Bug-Analyse löse. Das ist es, was mich motiviert. Ich spüre regelrecht ein Kribbeln in den Fingern, wenn es darum geht, bestimmte Fragestellungen und Probleme zu verstehen – und eine verständliche und strukturierte Antwort in Form von Softwarecode und deren Tests zu liefern.
Diesen Weg hätte Margret ohne weibliche Vorbilder aber wohl nicht eingeschlagen:
Meine ersten Vorbilder waren meine Mathelehrerinnen. Wer weiß, ob ich Mathe so geliebt hätte, wenn ich andere Lehrer gehabt hätte. Das Studienfach Medizininformatik habe ich gewählt, weil eine Freundin meiner ältesten Schwester medizinische Dokumentationsassistentin ist. Sie war das Vorbild für meine Studienfach-Auswahl.
Während des Studiums bin ich der „Gesellschaft für Informatik“ beigetreten, um Frauen zu finden, die im IT-Bereich arbeiten. Anlass dafür war eine Suche nach konkreten Lebensläufen von Frauen in der IT – diese fand ich in der GI. Das waren Frauen, die promovierten und an Unis lehrten, in unterschiedlichen Firmen arbeiteten oder selbständig waren. Auch in Unternehmen braucht es Vorbilder auf allen Ebenen: In einem meiner Vorstellungsgespräche hatte mein späterer Vorgesetzter bereits eine Frau im Team, die sich in der Männerdomäne bewiesen hatte – und er hat an meinen Erfolg geglaubt.
Aus diesem Grund engagiert sich Margret auch heute selbst für Frauen in der Tech-Branche:
Wichtig finde ich, nicht nur von Vorbildern zu hören, sondern diese auch konkret zu erleben. Ich hätte sonst beispielsweise niemals das Studium begonnen. Auch aus diesem Grund engagiere ich mich und stelle an Universitäten Programmiersprachen wie STL, C++, Java Design Pattern oder agile Entwicklungsmethoden wie Scrum vor. Auch Veranstaltungen wie den Girls Day bei TCS habe ich mitorganisiert, um Mädchen bei der Berufswahl zu zeigen, welche Tätigkeitsfelder es für sie gibt.
Dennoch passiert es leider, dass Frauen in der IT Steine in den Weg gelegt werden:
In einem telefonischen Bewerbungsgespräch nach der Uni wurde mir klipp und klar gesagt, dass meine Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg hätte, weil ich eine Frau sei. Aber häufig geschieht es auch unbewusst: Beim Antritt einer neuen Position hatte ich einen kleinen Monitor und einen wenig leistungsfähigen Rechner. Es war schlicht angenommen worden, dass ich als Team-Assistentin anfangen würde. Einen besseren Rechner und einen größeren Monitor habe ich dann später aber doch noch bekommen.
Ähnlich lief es ab, als ich mir mit einer Kollegin ein Büro teilte. In dieses Büro wurden etwas später noch zwei Entwickler gesetzt, die es tatsächlich als Zumutung empfanden, das Büro mit Sekretärinnen teilen zu müssen. Wir haben die Situation dann freundlich aufgeklärt. Der Fauxpas war den beiden Herren fürchterlich unangenehm – vor allem als sich herausstellte, dass eine der beiden Frauen als Architektin fachlich über ihnen angesiedelt war.
Doch davon darf man sich nicht entmutigen lassen, sondern muss sein Ding weiter durchziehen. Dabei kommen dann auch so interessante Projekte wie das folgende von Margret heraus:
Eines meiner spannendsten Projekte war vor etwa fünf Jahren, als wir eine IoT-Lösung in der Cloud für einen Logistikdienstleister entwickelt haben. Das Unternehmen kann in Echtzeit verfolgen, wo sich einzelne Sendungen oder ganze Container befinden, wann sie verladen und ausgeliefert werden. Zusätzlich messen Sensoren, ob an einem Container die Tür fälschlicherweise offen steht. Oder sie schlagen Alarm, wenn es zu heiß oder kalt wird.
Das Unternehmen kann also sehen, wo sich die Güter befinden und in welchem Zustand sie sind. Bei den Projekten für unsere Kunden geht es um das Programmieren und Testen von Software, die in Produktion geht – also keine Proof of Concepts, die anschließend nicht genutzt werden. Sprich: Die Lösungen müssen Tausenden Anwendern kurze Antwortzeiten und gute Usability bieten sowie Bug-frei sein.
Allerdings ist es noch immer so, dass es (zu) wenige Frauen in der Tech-Branche gibt. Gründe dafür findet Margret viele:
Das beste Diversity-Programm ist nutzlos, wenn es losgelöst vom Unternehmen ist und die Strukturen keine Prozesse und Wege für eine offene, innovative Arbeitsumgebung bieten. Umgekehrt müssen Frauen mit technischem Interesse sich auch entsprechend ihrer Fähigkeiten und Qualifikation einbringen.
„Das beste Diversity-Programm ist ohne passende Unternehmensstruktur sinnlos.“
In Deutschland wird bereits viel getan. Andere Länder sind aber schon weiter – und Frauen in der IT-Branche selbstverständlich. Das nehmen wir natürlich auch beim unternehmensinternen Vergleich mit anderen Ländern wahr. Ich befürchte, bis wir soweit sind, wird es noch eine Generation dauern. Zudem habe ich häufig den Eindruck, dass sich Unternehmen um gleiche Chancen für Frauen vor allem wegen des Fachkräftemangels einsetzen. Das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz.
Generell würde ich Diversity aber nicht auf das Frauenthema allein begrenzen. Diversity beinhaltet auch gleiche Chancen für alle Altersgruppen, Nationalitäten oder Minderheiten. Mir ist wichtig, in internationalen Projekten zu arbeiten – auch das ist eine Form von Diversity. Um mal etwas Werbung zu machen: Bei TCS sind Mitarbeiter aus 132 Nationen beschäftigt. Auch Englisch als Sprache im Job möchte ich nicht missen oder Reisen nach Amsterdam, Paris oder natürlich Indien. Wichtig ist der Respekt vor der Person, unabhängig von Geschlecht oder Nationalität.
Unabhängig von allen Diversity-Debatten werden aus meiner Sicht die soziale Kompetenz oder die sogenannten Soft Skills wichtiger. Dazu gehören beispielsweise Teamfähigkeit, Lernbereitschaft und Zuhören. Es geht darum, die Anforderungen des Kunden zu verstehen und in konkrete Vorgaben für das Team zu übersetzen.
Möchte man als Frau in der Tech-Branche Fuß fassen, ist vor allem eins wichtig:
Keine Angst haben! Um es mit den Worten eines großen Sportartikelherstellers zu sagen: „Alles ist möglich“. Suche Dir Vorbilder und Kontakt zu anderen Frauen in der IT, beispielsweise bei der Informatica Feminale oder der Frauengruppe der Gesellschaft für Informatik.
Wichtig ist zu verstehen, dass IT mehr ist als Bilder über Snapchat zu versenden oder ein Statusupdate bei Facebook zu machen. Die digitale Kompetenz für soziale Medien ist wichtig. Informatik, Softwareentwicklung oder IT bedeutet aber, dass diese Software einwandfrei, leicht verständlich für die Nutzer und mit kurzen Antwortzeiten verfügbar ist. Ich erwähne das, weil ich im Studium viele Männer habe scheitern sehen, die ein falsches Bild von Informatik und keinen Spaß am Studium hatten. Ausschlaggebend waren meist logisches Denken und Mathematik. Dazu kam vielleicht auch ein nicht sonderlich ausgeprägtes Durchhaltevermögen. In der IT wird aber genau diese Stärke durch die Fragestellungen regelmäßig gefordert. Und ausgelernt hat man auch nie.
Falls man sich bei der Studien- bzw. Berufswahl nicht sicher ist, gibt es einige spannende Orientierungsangebote:
Denn nicht jeder hat eine feste Vorstellung von der Studienfachwahl: Ist sich eine Schülerin nicht sicher, können Programme wie das Hessen-Technikum interessant sein. Das Programm dient der Studien- und Berufsorientierung und besteht aus aus einem Schnupperstudium und zwei Unternehmenspraktika.
An vier Tagen in der Woche lernen die Teilnehmerinnen ein konkretes Berufsbild in einem Unternehmen kennen und an einem Tag in der Woche erhalten sie einen Einblick in die MINT-Fachbereiche der Hochschule Darmstadt. Beruhend auf den eigenen Erfahrungen an der Uni und in den Unternehmen können die Teilnehmerinnen anschließend entscheiden, welches Studium oder welche Ausbildung und welches Berufsbild zu ihnen passen.
Wie sind eure Erfahrungen als Frauen in der Tech-Branche? Und wie seht ihr Männer das – fehlen euch qualifizierte Frauen als Kollegen? Schickt uns eure Erfahrungen, Meinungen, Wünsche per Mail an redaktion@entwickler.de!
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