Wir zeigen, wie Teams und Organisationen schrittweise der Wechsel zum agilen Arbeiten gelingen kann.
Worte prägen unser Denken und Handeln. Gleichzeitig arbeitet unser Gehirn manchmal anders als erwartet. So behalten wir bei einer Verneinung das Verb häufig ohne das vorangestellte „nicht“ im Kopf: „Nicht vom Beckenrand springen“ erzeugt in unserem Hirn eine starke Verbindung von „Beckenrand“ und „springen“ – und womöglich sogar den Wunsch, einfach mal vom Beckenrand zu springen. Mit dem Wort „Fehlerkultur“ verhält es sich ähnlich. Es bleibt die Kombination von „Fehler“ und „Kultur“ in unserem Hirn. Das beeinflusst womöglich unser Denken, Handeln und Fühlen. Wenn wir hingegen über eine Lernkultur sprechen, stellen wir das Lernen in den Vordergrund. Wie aber können Teams und Organisationen aus einer Fehlerkultur in eine Lernkultur wechseln?
Beklagen Menschen die Fehlerkultur in ihrer Organisation, vermissen sie häufig eine Verantwortungsübernahme für entstandene Ergebnisse. In einer Fehlerkultur werden die Begriffe „Fehler“ und „Schuld“ nahezu synonym genutzt. Weil in einer Fehlerkultur mit der Verantwortung für einen Fehler auch die Schuld daran verbunden ist, wehren viele Beteiligte die Verantwortung ganz ab und suchen nach (anderen) Schuldigen für den passierten Fehler. Zum Schuldgefühl gesellen sich außerdem schnell Scham oder Ärger. Weil der oder die Einzelne diese Gefühle vermeiden möchte, sucht er oder sie einen alternativen Weg. Um schlechte Gefühle (oder auch ein schlechtes Gewissen) über den Fehler abzuwehren, lehnen die Beteiligten jegliche Verantwortung für den Fehler ab. Und das in gewisser Weise wohl zu Recht: Sich schuldig fühlen zu müssen sowie Scham oder Ärger zu empfinden, ist anstrengend. Die Beteiligten sorgen also für sich selbst, wenn sie die Verantwortung für den Fehler und damit das Schuldgefühl abwehren.
In Teams oder Organisationen mit einer Fehlerkultur verwenden die Beteiligten ihre Energie auf die Abwehr der Verantwortung oder das Ignorieren eines Fehlers. Mit der Frage nach einem Fehler wird systemisch immer nach Schuld gesucht. Damit verharren die Beteiligten im Fehler.
Es gibt mehrere effektive Strategien zur Abwehr der Verantwortung eines Fehlers:
Alle genannten Strategien führen dazu, dass der eigentliche Fehler nicht als solcher erkannt wird. Schlimmer noch: Sie führen die Beteiligten in einen Teufelskreis, in dem sie um die gemachten Fehler kreisen, diese aber nicht beheben (Abb. 1).
Abb. 1: In einer Fehlerkultur kreisen die Beteiligten um die Fehler
Wenn ein Fehler einer Person oder einem Personenkreis zugeschrieben wird, wird an diese die Schuld delegiert. Die Betroffenen wiederum fühlen sich dementsprechend schlecht, ärgern sich und versuchen ihrerseits, die schlechten Gefühle (auch Wut) abzuwehren oder weiterzugeben. Auch sie übernehmen also keine Verantwortung für den Fehler. Damit bleibt der Fehler unbehandelt. Zu keinem Zeitpunkt hat eine:r der Beteiligten darüber nachgedacht, was genau passiert ist und welche Veränderungen sinnvoll wären. Im Ergebnis hat die Organisation nichts gelernt. Der Fehler kann wiederholt werden. Damit beginnt der Teufelskreis von vorn.
In einer Lernkultur hingegen übernehmen alle Beteiligten Verantwortung für den Fehler – und vor allem für eine positive Veränderung. Während in einer Fehlerkultur die Beteiligten die Verantwortung und die damit einhergehenden schlechten Gefühle abwehren, führt in einer Lernkultur die gemeinsame Verantwortung in der Situation eines Fehlers zu einer lösungsorientierten Ausrichtung.
In Teams und Organisationen mit einer Lernkultur wird die Energie in die Frage investiert: „Wie machen wir anders weiter?“ Die Beteiligten erkennen Fehler als solche an. Sie übernehmen so Verantwortung für den Istzustand, ohne sich schuldig zu fühlen, und suchen nach Erkenntnissen und Hypothesen für den nächsten Schritt.
Dabei haben die Beteiligten unterschiedliche Strategien, mit einem Fehler umzugehen. Denn auch in einer Lernkultur ist ein Fehler ein Fehler. In den wenigsten Fällen wird es gelingen, dass Fehler direkt begrüßt werden. Und so antworten die einen auf einen Fehler mit Humor, während andere diesem analytisch begegnen. All diese Strategien haben gemeinsam, dass der Fehler als solcher bezeichnet wird. Wir können nur aus Fehlern lernen, wenn wir sie auch als Fehler anerkennen. Darin liegt der große Unterschied zwischen einer Fehler- und einer Lernkultur. Die Beteiligten gehen davon aus, dass Fehler passieren werden, sind gewillt, diese als solche zu benennen und mit den Erkenntnissen rund um den Fehler eine neue Handlungsweise auszuprobieren. Es geht nicht darum, wer genau daran schuld ist. Damit richtet sich die Energie der Organisation auf Veränderung und Lernen. So werden Räume frei und eine stetige Entwicklung möglich. Kern einer Lernkultur sind das gemeinsame Arbeiten und die gemeinsame Verantwortungsübernahme für dieses Arbeiten.
Abb. 2: In einer Lernkultur ist ein Fehler Ausgangspunkt einer positiven Entwicklung
Je nachdem, ob ein Team oder eine Organisation mehr um gemachte Fehler kreist oder Fehler zum Ausgangspunkt von Entwicklung macht, wird das Teamverhalten durch den Begriff „Fehler-“ oder „Lernkultur“ beschrieben. Kultur zeigt sich in Handlungen. So beschreiben Bright und Parkin [1] Organisationskultur mit den Worten: „This is how we do things around here.“ („So machen wir das hier.“) Es ist also nicht entscheidend, wie Menschen in Teams oder Organisationen handeln möchten, sondern es ist kulturbestimmend, wie die Beteiligten faktisch handeln.
Wenn Teams und Organisationen ihre Fehlerkultur verlassen möchten und eine Lernkultur leben möchten, stellt sich also die zentrale Frage: „Was tun wir im Team oder in der Organisation zukünftig anders?“ Dabei zählen die kleinen Dinge, die täglichen Handlungen aller Beteiligten, die sich zu einer Fehler- oder einer Lernkultur aufsummieren. Jede veränderte Handlung, jedes andere Vorgehen, jede noch so kleine neue Antwort auf einen Fehler könnte ein Schritt in die Lernkultur sein. Fehler schnell ausbügeln zu können, Folge- und Wiederholungsfehler zu vermeiden, neue Wege im Sinne des Kundennutzens gehen zu können, sollte im Sinne aller Teams und Organisationen sein. Dennoch verharren viele Teams und Organisationen in ihrer Fehlerkultur. Denn es braucht den oder die Einzelne:n, der oder die sein beziehungsweise ihr Verhalten ändert, damit sich in Summe eine neue Lernkultur zeigen kann. Und das eigene Verhalten zu ändern, ist häufig nicht einfach. Führungskräfte können das gewünschte Verhalten vorleben und verfügen damit über einen riesigen Hebel zur Veränderung.
Jedes Handeln hat seinen Sinn: Auch wenn Schuldzuweisungen und Verleugnung von Fehlern in Teams und Organisationen für Wachstum und bessere Qualität nicht förderlich sein mögen, war es für die Einzelnen irgendwann in ihren Leben einmal sinnvoll, genau so zu handeln. Es kann sich im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule, während der Ausbildung, im Freund:innenkreis oder in einem anderen Unternehmen als hilfreich erwiesen haben. Unbewusst wiederholen wir Verhalten, das für in anderen Situationen erfolgreich und damit sinnvoll war. Das ist uns in der jeweiligen Situation meist nicht bewusst, sondern wir handeln unwillkürlich nach unseren alten Verhaltensmustern.
Edgar Schein spricht im Kulturebenen-Modell [3] davon, dass Grundannahmen von Einzelnen die Organisationskultur bestimmen. Um von einer Fehler- in eine Lernkultur zu wechseln, werden alle ihr Verhalten ändern (müssen). Und dabei werden sich Grundannahmen ändern. Der Umgang mit Fehlern ist tief in allen verankert. Jeder Mensch hat seine Geschichte, Erfahrungen und Muster. Eine solche Veränderung gelingt nicht durch das Aufhängen eines Leitbilds im Treppenhaus oder durch eine einzelne Fuckup-Nacht. Eine solche Veränderung braucht eine große Ausrichtung des Teams oder der Organisation – und viele kleine Schritte dorthin. Eine solche Veränderung braucht Kaikaku [2]: Wenn Teams und Organisationen gewohnt sind, Kaizen zu betreiben, also die iterative Verbesserung ihrer Prozesse und Produkte, dann wird es ihnen auch gelingen, eine Veränderung mit Kaikaku herbeizuführen. Echte Veränderung entsteht nämlich Schritt für Schritt.
Im Fall von Kaikaku geht der schrittweisen Veränderung „der große Ausruf“ voraus. Im Fall einer Lernkultur könnten das Aussagen sein wie:
Es ist charakteristisch für Kaikaku, dass eine kleinere Gruppe für die anderen das Zielbild „vordenkt“ und es verkündet. In einem Team werden darüber alle Beteiligten verhandeln können, in einer größeren Organisation übernimmt diese Aufgabe ein Transition-Team. Echte Veränderung gelingt am besten mit jenen, die Lust auf eine Veränderung haben. Das Transition-Team wirbt für die Veränderung und lebt diese radikal vor. Kulturveränderungen gelingen dann, wenn die Vorbilder in der Organisation die Veränderung vorleben. Das bedeutet, dass die Alphastimmen in ihrem jeweiligen Umfeld beginnen, ihr Verhalten zu verändern. Dabei werden sie ihre ersten Schritte auf unterschiedliche Weise gehen:
Mit dieser angesagten Verhaltensänderung („Wir möchten uns immer weiterentwickeln und zu jedem Zeitpunkt besser werden!“) und vorgelebtem Verhalten wird die Bereitschaft größer, dass alle Organisationsmitglieder ihr Verhalten ändern können. Denn sie sehen Alternativen zu ihren bisherigen Grundannahmen. Sie machen neue Erfahrungen. Diese Erfahrungen können Teams und Organisationen durch Rituale und Maßnahmen unterstützen:
Eine besondere Funktion haben in dieser Veränderung alle jene Menschen, die für andere Menschen in Führung gehen. Sowohl die lateralen als auch die disziplinarischen Führungskräfte sind gefordert: sowohl, was das Vorleben im Umgang mit Fehlern betrifft als auch das Spiegeln des Umgangs mit Fehlern. Sie spiegeln den eigenen Umgang mit Fehlern und den anderer Menschen in ihrem Umfeld, indem sie annehmbares Feedback geben. Sie unterstützen diejenigen, die vorwurfsfrei aus einem Fehler lernen möchten.
Solche Unterstützung kann sich ausdrücken in einer Selbstkundgabe kombiniert mit leitenden Fragen, zum Beispiel: „Wenn ich so auf den Sachstand schaue, fühle ich sofort Schuld in mir wachsen und ich möchte mit dem Finger auf andere Menschen zeigen. Das würde mich von meiner Schuld entlasten. Aber das würde dazu führen, dass ich mich mit der Schuld und der Fehlerverweigerung beschäftige. Daher versuche ich, die Schuld nicht anzunehmen. Ich habe die mögliche Schuld zur Kenntnis genommen. Ich lege sie nun zur Seite. Und jetzt versuche ich, mit dem Sachstand anders umzugehen. Ohne Wertung, ohne Beurteilung, ohne Schuld. Wir können nur aus Fehlern lernen, wenn wir sie so nehmen, wie sie sind. Daher habe ich drei Fragen:
Alle Beteiligten werden durch ein verändertes Verhalten neue Ergebnisse erhalten. Den eigenen Grundannahmen stehen dann neue Erfahrungen gegenüber. Nach und nach werden die Organisationsmitglieder häufiger und klarer anders mit Fehlern umgehen als bisher. Und so wird die Summe veränderter Handlungen eine Fehlerkultur in eine Lernkultur verwandeln.
Links & Literature
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Organisationskultur#Grundlagen
[2] http://www.wandelweb.de/blog/?p=53