Kolumne: Moderne IT-Fabeln - Kapitel 5

IT-Fabeln: Scrum im Königreich der Tiere

IT-Fabeln: Scrum im Königreich der Tiere

Kolumne: Moderne IT-Fabeln - Kapitel 5

IT-Fabeln: Scrum im Königreich der Tiere


Die Meisten mögen aus ihrer Kindheit die eine oder andere Fabel kennen, wie beispielsweise die Geschichte vom „Hasen und der Schildkröte“ oder vom „Wolf und dem Kranich“. Dabei zeichnet die Fabel immer zwei Dinge aus: ein Konflikt, der zwischen zwei oder mehr Tieren stattfindet und eine Lehre in Form einer Moral. Im Gegensatz zu anderen Kurzgeschichten geht die Fabel oftmals nicht gut aus und verstärkt dadurch die Wirkung der Moral. Der Autor Stefan Jacobs erzählt in dieser Kolumne seine eigenen Fabeln aus der IT-Welt, von denen manche gut ausgehen, manche aber auch nicht. Und genau wie in der klassischen Fabel gibt es auch hier immer eine Weisheit zum „mit nach Hause nehmen“.

Die Fabel

Es war einmal ein großes Königreich, dessen blühende Wälder von Tieren aller Arten bewohnt wurden. Seit die Tiere denken konnten und seit deren Eltern (und deren Eltern wiederum) denken konnten, wurde das Königreich von einem uralten Wassergeist regiert, der auch als Geist des Wasserfalls bekannt war.

Einmal im Jahr, am heiligen Tag des großen Geistes, versammelten sich die Sprecher aller Tiere am Wasserfall, um die Gebote, Regeln und Aufträge ihres Herrschers entgegenzunehmen. Unter großem Getose und Bersten öffneten sich dabei die Wasserfronten und empor stieg ein mächtiges Wesen aus reinem Wasser, das sich vor den Bewohnern des Königreichs brüstete (Abb. 1).

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Abb. 1: Der Geist des Wasserfalls erscheint dem Volk

„Seht und huldigt mir, dem Geist des Wasserfalls!“, sprach die Erscheinung. „Es ist an der Zeit, eure Arbeit zu bewerten und zu prüfen, ob ihr gute Untertanen wart.“

In der Hand des Wesens erschien eine magische Schriftrolle, die aus unerfindlichen Gründen von der Nässe des Geistes unberührt blieb. Und so fuhr er fort und hakte seine Liste ab.

„Haben die Biber auch fleißig den Damm gebaut?“, fragte er neugierig. „Und was ist mit dem neuen Ackergebiet im Westen? Ich hoffe, die Schafe haben ihre Arbeit gut gemacht. Und dann der Wald – ich habe dem Hirsch einen Auftrag erteilt, er sollte einen neuen, noch größeren Wald bevölkern.“

So fuhr der Geist stoisch mit seiner Liste fort und jedes Tier begann sichtlich zu zucken, als es aufgerufen wurde. Niemand wollte schließlich den Herrscher verärgern.

„Und was ist mit der Statue? Ich hatte eine Statue verlangt, ihr einfältigen Vögel. Wunderbare Nester könnt ihr bauen, aber die Statue steht immer noch nicht. Dabei war der Auftrag doch klar formuliert.“

Der Vogelälteste schluckte und begann sich zu rechtfertigen: „Verzeiht, Euer Gnaden. Wir haben es wirklich versucht. Aber der Zeitplan war einfach unrealistisch.“

„UNREALISTISCH?“, tobte das Wesen und das Gewässer um ihn herum begann zu schwanken. „Was heißt hier unrealistisch? Ihr hattet ein Jahr Zeit und seid immer noch nicht fertig: Ich nenne das Unfähigkeit!“

In diesem Moment wurde es nicht nur den Vögeln zu viel. Auch die anderen Tiere litten schon seit Jahren unter der Willkür ihres Herrschers. Jahrein, jahraus bekamen sie diese Aufträge am heiligen Tag zugeschoben und wehe, wenn sie auch nur ein My von den Anforderungen abwichen oder im Zeitplan hinterher waren.

„Wir sind es leid, dir zu dienen, Wassergeist. Nieder mit deinen Regeln und Gesetzen. Wir wollen Freiheit! Wir wollen Selbstbestimmung!“, riefen die Tiere. Je mehr sie revoltierten, desto kleiner wurde der Geist, denn seine Macht ergab sich lediglich aus der Hingabe seiner Anhänger zu ihm. Und so schrumpfte der Geist immer weiter und nahm alles Wasser mit sich, bis der einst plätschernde Wasserfall ein trockener Fels wurde. So hinterließ der alte Herrscher nicht nur eine trockene Gedenkstätte, sondern auch ein Machtvakuum.

Es dauerte nicht lange, bis dieses Machtvakuum gefüllt wurde. Denn kurz darauf ergriffen die Löwen die Gelegenheit beim Schopfe und übernahmen die Herrschaft über das Königreich (Abb. 2).

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Abb. 2: Die Löwen ergreifen die Herrschaft

Die Löwen versprachen den Bewohnern des Reiches eine neue Form der Arbeit: Selbstbestimmt, aber koordiniert sollte es sein. Es sollte auch mehr...