Interview mit Hanna Prinz, Consultant
Interview mit Hanna Prinz, Consultant
In unserer Artikelserie „Women in Tech“ stellen wir inspirierende Frauen vor, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben. Heute im Fokus: Hanna Prinz, Entwicklerin und Consultant bei INNOQ mit dem Schwerpunkt Infrastruktur und Service Mesh.
Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.
Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Hanna Prinz
Hanna ist Entwicklerin und Consultant bei INNOQ mit dem Schwerpunkt Infrastruktur und Service Mesh. Davor arbeitete sie als Entwicklerin für Backend, Web und Apps und als Dozentin für Programmierung – bis sie den Herausforderungen des Betriebs begegnete und nicht widerstehen konnte. Seitdem beschäftigt sie sich mit allen Themen im Bereich Automatisierung und DevOps wie Kubernetes, CI/CD und Service Meshes.
Als Kind war die Situation bei mir aus vielen Perspektiven ungewöhnlich. Meine Eltern haben die sehr unterschiedlichen Interessen ihrer vier Töchter unterstützt, statt sich an Geschlechterklischees zu orientieren. Meine Neugier gegenüber Technik hat sich durch meinen Vater entwickelt, der technisch sehr interessiert ist.
Meine Neugier gegenüber Technik hat sich durch meinen Vater entwickelt.
Das hat auch damit zu tun hat, dass er blind ist. Was viele nicht wissen ist, dass viele Blinde und Sehbehinderte besonders offen für Technik sind, weil sie von technischen Hilfsmitteln sehr stark profitieren. Bei uns hat der Rechner (in einer atemberaubenden Geschwindigkeit und Ausdauer) gesprochen, alle Uhren konnten auf Knopfdruck die Zeit ansagen und es gab sogar ein Gerät, das die Farbe von Kleidungsstücken erkannt und ausgesprochen hat. Mein Vater hat den Computer und das Internet sehr früh und viel genutzt: für das Schreiben von E-Mails oder auch um Musik mit dem Rechner zusammenzustellen oder abzumischen. Natürlich haben wir Kinder viel mit seinen Hilfsmitteln „gespielt“ (z. B. die Computerstimme verändert oder versucht das Farblesegerät zu verwirren). Unser Vater hat uns mit viel Geduld geholfen unsere Rechner selbst aufzusetzen und diverse Computerspiele (damals noch von Disketten) zu installieren, wofür ich ihm sehr dankbar bin.
Und um zur Frage zurück zu kommen: meine Schwestern haben sich sehr viel darüber beschwert, dass ich zu viel am Rechner sitze und irgendwelche Dinge verstelle
Umso näher ich meinem Schulabschluss kam, desto weniger konnte ich mir vorstellen, später beruflich etwas mit Computern zu machen. Denn wie wahrscheinlich viele Kinder und Jugendliche heute auch, dachte ich, nur wer gut in Mathe ist, kann programmieren lernen. Ich war keine gute Schülerin – besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern. Ich habe mich dann eher für gestalterische und kreative Themen interessiert. Das Abitur habe ich sogar im letzten Jahr abgebrochen und stattdessen durch ein Praktikum eine Fachhochschulreife bekommen.
Ich wollte eigentlich Kommunikationsdesign studieren, bin aber rückblickend sehr froh, dass ich stattdessen einen Studienplatz in der Medieninformatik bekommen habe. In den ersten Wochen habe ich gemerkt, dass Programmieren genau das Richtige für mich ist. Ich hatte nicht nur viel Spaß am Studieren und habe sowohl das Bachelor- als auch das Masterstudium mit Auszeichnung abgeschlossen.
Ich habe gemerkt, dass Programmieren genau das Richtige für mich ist.
Während des Studiums habe ich immer gearbeitet – ab dem zweiten Semester auch in der Softwareentwicklung und später als Tutorin/Lehrbeauftragte für Programmierung. Beides war sehr herausfordernd, aber sowohl das Sezieren von Problemen als auch das Lehren sind sehr geeignete Lernmethoden für die Softwareentwicklung.
Während meines Bachelor-Studiums habe ich bei dem Start-up Qyotta gearbeitet und bin nach dem Abschluss dort geblieben. Das war eine sehr tolle und intensive Zeit. Von Web- und App-Entwicklung über Testing, Monitoring und Kundenkommunikation bis zur Software-Infrastruktur konnte ich dort alles machen. Ich habe gelernt, dass es nicht nur mehr Spaß macht an einem Produkt zu arbeiten von dem man überzeugt ist, sondern auch dass man automatisch eine ganz andere Leistungsfähigkeit hat – besonders wenn sich die Teammitglieder auch auf menschlicher Ebene gut verstehen.
Nach ein paar Jahren bin ich auf eine sechsmonatige Reise durch Europa aufgebrochen und habe unterwegs entschieden, nach meiner Rückkehr ein Masterstudium zu beginnen, um noch mehr zu lernen.
Vor etwas mehr als einem halben Jahr habe ich mein Masterstudium abgeschlossen und bin seitdem Consultant bei INNOQ. Meine Aufgabe ist es, Wissen zu vermitteln und Probleme zu lösen. Das tue ich in vielen Formen: Gespräche, Softwareentwicklung, Workshops, Schulungen, Talks und dem Schreiben von Artikeln. Ein Unternehmen kann intern kaum über alle nötigen IT-Kompetenzen verfügen und oft ist ein Blick von außen auch besonders wertvoll. Das Ziel ist, Mehrwert für KundInnen (oder ZuhörerInnen) zu schaffen. Wenn der Arbeitgeber einem keine Auflagen macht, die damit in Konflikt stehen ist das eine sehr ehrenhafte Sache, die deshalb auch sehr befriedigend sein kann. INNOQ ist glücklicherweise eine Firma, die es mir ermöglicht, unter diesen Rahmenbedingungen zu arbeiten.
Aktuell entwickeln eine Kollegin und ich ein Testverfahren für ein IoT-Device, das mit einer entfernten Schnittstelle kommuniziert. Eine besondere Herausforderung ergibt sich dadurch, dass sich die Schnittstelle ungehindert weiterentwickeln kann, während das Gerät aber eine ganz bestimmte Softwareversion nutzt. Wenn die Schnittstelle also durch eine Änderung inkompatibel zu einer Geräte-Software wird, merkt das nur der Nutzer des Geräts, nicht jedoch das Team, das die Schnittstelle entwickelt. Wir entwickeln eine Teststrategie mit Consumer-Driven Contracts, mit der die Schnittstelle sicherstellen kann, dass sie die Erwartungen des Geräts immer erfüllt.
Mein zentrales Thema ist allerdings das Service Mesh. Ich habe mich in letzter Zeit mit den verschiedenen Implementierungen dieses Patterns beschäftigt. Der Bereich ist besonders interessant, weil er sich sehr schnell verändert und es viele verschiedene Produkte gibt. Zusammen mit KollegInnen habe ich deshalb die Seite servicemesh.es erstellt, auf der die Service Mesh Implementierungen detailliert und fair verglichen werden.
Wofür ich rückblickend besonders dankbar bin, sind die Möglichkeiten und Chancen, durch die mich meine Chefs, KollegInnen und ProfessorInnen (darunter auch viele Männer) gefördert haben. Beispielsweise durfte ich als studentische Mitarbeiterin des zweiten Semesters an Kundensoftware arbeiten, eigenen Code releasen, dabei Fehler machen und beheben. Meine Hochschule hat mir angeboten, ein Tutorium und Probevorlesungen zu halten und eigene zu Kurse geben. Aktuell ermöglicht es mir mein Arbeitgeber, Vorträge und Workshops auf Konferenzen zu halten und Artikel zu schreiben. Egal wie fähig oder mutig man ist, man ist auf solche Chancen angewiesen. Ich habe sehr viel Respekt vor der Ausdauer mit der manche ProfessorInnen und KollegInnen mich überzeugt haben, etwas zu versuchen. Auch wenn es sehr unangenehm sein kann, die eigene Komfortzone zu verlassen, war es für mich rückblickend bis jetzt immer die richtige Entscheidung Herausforderungen anzunehmen.
Vielleicht lohnt es sich auch für andere, mit dem Geben von Chancen und Impulsen und dem Annehmen von Herausforderungen zu experimentieren.
Programmieren bedeutet, nachts allein im Kapuzenpulli vor einer Wand von Bildschirmen zu sitzen und komplizierten Code in die Tastatur zu hacken. Dieses hartnäckige Bild vom “Nerd”, was von vielen Medien unreflektiert repliziert wird, ist nicht nur falsch, es wirkt anziehend auf ein paar Menschen, aber schreckt auch viele ab, die wir eigentlich sehr dringend bräuchten.
In allen Informatikstudiengängen studieren mehr Männer als Frauen. Damals wie heute denke ich, jeder sollte das machen, wofür er sich interessiert und andere sollten das respektieren. Doch so einfach ist es in diesem Fall nicht. Denn leider fällt die Entscheidung für den Beruf oft auf Basis von vielen ungeeigneten Faktoren. Dazu zählt das Image des Nerds in den Medien oder pauschale Ratschläge von Menschen, die wenig über den Beruf wissen. Beispielsweise ist gut in Mathe zu sein aus meiner Erfahrung kein guter Indikator für Informatik-Talent.
Ich habe nicht daran gedacht, dass das Geschlecht für den Berufsweg in der Tech-Branche eine Rolle spielen kann.
Ein weiteres Problem ist, dass bei weitem nicht alle Hochschulen bei den Informatik-Themen von vorn angefangen, so wie es bei einem Fach, das leider immer noch nicht im Standard-Schullehrplan ist, sein müsste. Viele Lehrende passen das Tempo den Studierenden an, die von ihren Eltern früh einen Computer oder sonstige Förderung bekommen haben. Hier kommt dann leider doch das Geschlecht ins Spiel, denn Jungs werden in Mathe und Informatik oft immer noch stärker gefördert als Mädchen.
Ich selbst habe bis vor kurzem gar nicht daran gedacht, dass das Geschlecht für den Berufsweg in der Tech-Branche eine Rolle spielen kann. Mein Fachbereich an der Beuth Hochschule in Berlin hat dank der vielen sehr engagierten Lehrenden eine gute, unelitäre Lernatmosphäre für alle geschaffen. In den Teams in denen ich gearbeitet habe, haben sich mir gegenüber alle fair und respektvoll verhalten. Ich würde deshalb jedem, dem es anders ergeht ermutigen, erstmal die Uni oder den Arbeitgeber zu wechseln und nicht gleich den Beruf.
In erster Linie profitieren Frauen selbst, die in technischen Berufen arbeiten (gute Arbeitsbedingungen, höheres Einkommen, etc.). Darüber hinaus schafft ein heterogenes Team mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Persönlichkeiten meiner Erfahrung nach generell eine angenehmere Arbeitsatmosphäre und erreicht bessere Ergebnisse. Davon profitieren dann auch alle. Mehr Diversität in der Tech-Branche muss also kein politisches, sondern ein primär unternehmerisch-sinnvolles oder notwendiges Ziel sein. Und auch für mich ist es sehr viel angenehmer, aufgrund meiner Fähigkeiten, meiner Erfahrung oder meiner Persönlichkeit eingestellt zu werden als wegen meines Geschlechts – und da spreche ich sicher auch für viele andere (sicher auch für viele Männer).
Mehr Diversität in der Tech-Branche muss kein politisches, sondern ein primär unternehmerisch-sinnvolles oder notwendiges Ziel sein.
Eine Sache, die mir auch auffällt ist, dass Arbeiten – im Gegensatz zu bspw. Kinderbetreuung – häufig als Privileg betrachtet wird. Fast scheint es, als würden Frauen den Männern die Arbeit wegnehmen wollen. Dabei wissen wir doch, dass Arbeit nicht ausschließlich positiv ist, sondern häufig auch mit weniger beneidenswerten Aspekte einhergeht, wie z. B. Stress und Überarbeitung. Genauso wie sich viele Frauen also eine erfolgreiche Karriere wünschen, gibt es auch viele Männer, die gern auf ihre 50-Stunden-Woche verzichten würden.
Sobald Kinderbetreuung ein Thema ist, entscheidet stattdessen häufig das Gehalt, welches Elternteil mehr (oder sogar ausschließlich) arbeitet. Da Männer im Schnitt mehr verdienen, ist es immer noch schwierig die klassische Rollenverteilung zu ändern. Erst wenn das Einkommen etwa gleich ist, entscheidet nicht mehr das Geschlecht automatisch über die Rolle in der Familie. Aufgaben können dann individuell aufgeteilt und gewechselt werden. Davon profitieren auch sehr viele Männer.
Da Männer im Schnitt mehr verdienen, ist es immer noch schwierig die klassische Rollenverteilung zu ändern.
Die Diversity-Debatte wird weitergehen. Die jahrelang als selbstverständlich hingenommene Homogenität in der Branche wird und sollte sich nicht ohne diese Debatten ändern. Mein Gefühl ist, dass wir auf einem guten Weg sind, aber noch viel Geduld haben müssen.
Viel wichtiger als mitzustreiten ist, aus meiner Sicht, sich selbst bei täglichen Entscheidungen oder Einschätzungen zu beobachten. Jeder von uns hat unterbewusst Vorurteile die häufig dafür sorgen, dass alles bleibt wie es ist und Potential sich nicht entwickeln kann. Ich denke da nicht nur an die Einstellung oder Beförderung von MitarbeiterInnen, sondern an die Darstellung von Berufen in Medien und die Erziehung von Kindern.
Über die Antwort auf die Frage nach Hindernissen in meinem Lebenslauf musste ich lange nachdenken. Natürlich hatte ich Probleme, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass mich jemand absichtlich bremsen wollte. Die Barrieren, die ich hatte (Studienfinanzierung, Familienangelegenheiten etc.) haben viele Menschen. Es hat mir sehr geholfen, dass ich mich für meinen Beruf begeistern kann und sicher spielt auch Glück eine Rolle.
Natürlich höre ich von KollegInnen und FreundInnen, dass besonders Frauen unterschätzt oder „klein gehalten“ werden. Bei mir war es glücklicherweise das genaue Gegenteil: Meine ProfessorInnen und KollegInnen haben mich stark gefördert.
Meine ProfessorInnen und KollegInnen haben mich stark gefördert.
Viele nehmen an, Frauen in der Tech-Branche übernehmen vorwiegend gestalterische und kommunikative Rollen. Es passiert mir auch hin und wieder, dass mein Gegenüber mich zu Beginn falsch zuordnet. Ich versuche das nicht persönlich zu nehmen, denn tatsächlich entscheiden sich Frauen häufiger für Frontend-Entwicklung, Data Science und Gestaltung als für Backend-Entwicklung oder IT-Infrastruktur. Wenn ich doch mal falsch zugeordnet werde, stelle ich das kurz klar. Danach hatte ich noch nie das Gefühl, dass meine Kompetenz infrage gestellt wird, weil ich eine Frau bin. Diskriminierung gibt es trotzdem, aber eben nicht überall.
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, die eigenen Vorstellungen des Jobs in der Realität zu validieren. Dazu kann man sich zum Beispiel mit jemandem aus dem Freundeskreis, der in der Branche arbeitet, unterhalten, sich für ein Praktikum bewerben oder auf einer Konferenz ins Gespräch kommen. Für Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen in der Tech-Branche gibt es auf vielen Konferenzen gesponserte, kostenlose Tickets („Diversity Tickets“).
Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele überrascht sein werden wie wichtig Kommunikationsfähigkeiten und kreatives Denken für die IT sind. Außerdem gibt es sehr viele unterschiedliche Rollen, in denen jeweils andere Fähigkeiten gefragt sind. Neben Programmierung, Software-Architektur und Testing/QA gibt es viele weitere Aufgaben, bei denen ein Händchen für Gestaltung, Teamorganisation, Lehre, Kommunikation mit Kunden über Anforderungen oder kreative Methoden für die Entwicklung neuer Softwareprodukte gefragt ist.
Es empfiehlt sich, die eigenen Vorstellungen des Jobs in der Realität zu validieren.
Und übrigens: Trotzdem die meisten Rollen einen technischen Kontext haben, findet ein großer Teil der Arbeit nicht allein am Schreibtisch statt, sondern beispielsweise in Meetings, Kundengesprächen oder auf Konferenzen. Selbst das Programmieren wird häufig zu zweit (Pair Programming) oder als Gruppe (Mob Programming) gemacht, was daraus eine sehr soziale und gesellige Tätigkeit macht. Spätestens an diesem Punkt sind wir dann weit weg von allen Klischees der Tech-Branche.