Interview mit Henny Selig, Solution Owner bei Signavio
Interview mit Henny Selig, Solution Owner bei Signavio
In unserer Artikelserie „Women in Tech“ stellen wir inspirierende Frauen vor, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben. Heute im Fokus: Henny Selig, Solution Owner bei Signavio.
Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.
Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Henny Selig
Henny Selig ist Solution Owner bei Signavio. Sie sorgt dafür, dass Kunden die Softwareprodukte von Signavio möglichst nahtlos bei sich im Unternehmen einführen können. Dafür erstellt sie zusammen mit ihrem Team vorgefertigte Software-Inhalte und Partnerintegrationen. Es handelt sich dabei um einen neuen und stark wachsenden Bereich bei Signavio, den Henny derzeit aufbaut. Zuvor war sie als Technische Beraterin bei Signavio und SAP tätig. Sie hat einen Abschluss als M.Sc. Data Science von den Universitäten KTH in Stockholm, Schweden und UNS in Nizza, Frankreich.
Bereits in der Schule habe ich gemerkt, dass mir MINT-Fächer gut liegen. Ich hatte das Glück, dass ich in ein Programm der Femtec aufgenommen wurde, das junge Frauen für Technik begeistern möchte. Das half mir, meine eigenen Vorurteile gegenüber MINT-Studiengängen zu überwinden. Dass ich mich für die Informatik entschieden habe, kam erst im letzten Schuljahr. Mit der Erkenntnis, dass unsere Welt zunehmend aus Software besteht, stieg das Interesse immens. Ich habe entdeckt, wie vielfältig und spannend der Bereich ist.
Ich habe zunächst einen dualen Bachelor in Wirtschaftsinformatik bei SAP gemacht. Das gab mir die Gelegenheit, in verschiedenen Bereichen eines Softwarekonzerns zu arbeiten. Dort habe ich gelernt, dass zu einer erfolgreichen Software deutlich mehr als nur Programmieren gehört. Nach einigen Jahren als SAP-Beraterin beschloss ich mit Mitte 20, mich mit einem Master in Data Science im Europäischen Ausland weiterzubilden. Dieser Weg hat mich zu meinem jetzigen Arbeitgeber Signavio geführt. Nach zwei Jahren im Technical Consulting, mit sehr viel Kundenkontakt und Reisezeit, kann ich nun meine Erfahrungen im Engineering bei Signavio einbringen. Wir bauen gerade einen neuen Bereich auf, der die Engineering- und die Kundensicht näher zusammenbringt. Damit bewege ich mich genau in meiner Welt: Kundenperspektive und technisches Fachwissen.
In Berlin gibt es eine Initiative, die erfolgreiche Frauen aus Tech, Start-ups und anderen Bereichen regelmäßig zu Gesprächen einlädt, um für andere Frauen Vorbilder zu schaffen.
Feedback ist für mich eine der wertvollsten Formen der Unterstützung.
Besonders inspiriert hat mich in diesem Rahmen das Gespräch mit Obi Felten, der Chefstrategin von Google X. Aber auch aus alltäglichen Begegnungen lerne ich gerne. Es gibt Kollegen, von denen ich mir Kommunikationsmethoden, Workshop-Skills oder ihre Art der Problemanalyse abschaue. Zudem hatte ich das Glück, immer hervorragende Kollegen und Vorgesetzte zu haben. Feedback ist für mich eine der wertvollsten Formen der Unterstützung.
Ich bin Solution Owner bei Signavio, das heißt, ich sorge dafür, dass unsere Kunden möglichst große Erfolge mit der Software von Signavio erzielen. Den Bereich Solution Engineering haben wir Anfang des Jahres 2019 auf meinen Vorschlag hin eingeführt. Signavio bietet Unternehmenssoftware an, die Kunden individuell zur Optimierung ihrer eigenen Abläufe nutzen können. Als Beraterin habe ich mit unseren Produkten bei verschiedenen Kunden oft ähnliche Probleme gelöst. Diese Überschneidungen nutzen wir, um Lösungen zu entwickeln, die den Kunden eine deutlich schnellere Einführung unserer Software ermöglichen.
Mein Arbeitsalltag ist sehr vielfältig.
Mein Arbeitsalltag ist sehr vielfältig. Ich programmiere selbst kaum noch, sondern organisiere mittlerweile ein Team und ihre Projekte. Dazu gehört die Priorisierung von Themen, die Definition von internen Abläufen, das Management von Erwartungen und Verantwortlichkeiten, darüber hinaus auch der Aufbau des Teams und die Kommunikation mit Kunden und Partnern.
In den genannten Unternehmen war ich stets eine der ersten, die mit neuer Technologie im Kundenumfeld gearbeitet hat. Parallel zu meinem Masterstudium gründete ich ein kleines Start-up. Der Grundgedanke war, dass sichere und nicht-nachvollziehbare Kommunikation im Internet einiges an Fachwissen benötigt, das nicht alle besitzen. Gerade Journalisten, Aktivisten oder Anwälte müssen eine vertrauensvolle Kommunikation mit ihren Klienten führen und Informanten sicherstellen, obwohl sie selten IT-Experten sind. Gemeinsam mit einem Kommilitonen haben wir ein Gerät entwickelt, das die Verschlüsselung von Daten und Kommunikation übernimmt, ohne dass weitere Kenntnisse nötig sind. Damit waren wir die Gewinner einer Start-up-Förderung an der TU Berlin. Nach einigen Monaten und einem funktionierendem Prototyp haben wir uns aus persönlichen Gründen zwar entschieden, das Projekt vorerst aufzugeben. Diese Erfahrung möchte ich aber nicht missen, denn daraus habe ich sehr viel gelernt.
Den Grund dafür habe ich leider auch noch nicht gefunden – mehr Vorbilder und Mentorinnen würden aber sicherlich helfen. Ich bin überzeugt, dass jeder etwas tun kann, Männer genauso wie Frauen, um es Frauen in der Tech-Branche einfacher zu machen. Dabei denke ich beispielsweise an offensichtliche Respektlosigkeit gegenüber weiblichen Führungskräften, Ingenieurinnen oder sonstigen “Women in Tech”. Aus Gesprächen mit Kollegen weiß ich, dass sich auch viele Männer unwohl fühlen, wenn sie Zeuge von sexistischen Kommentaren werden, aber oft meinen, sie dürften sich nicht einmischen. Möglichst konkrete Handlungsempfehlungen helfen den unbeholfenen Zeugen in diesen Situationen, wie beispielsweise eine einfache Rückfrage. Jeder sollte sich hier in der Pflicht sehen zu reagieren, unabhängig vom Geschlecht.
Technische Innovationen wie das Internet und Künstliche Intelligenz betreffen schon heute jeden von uns, mehr als wir bemerken. Diese Technologien können zu einer nie dagewesenen Gerechtigkeit in der Welt führen, wenn wir sie richtig einsetzen. Sie bergen aber auch große Risiken, wenn etwa Datenschutz untergraben wird oder KI verzerrte Ergebnisse liefert.
Diversifizierte Teams kommen zu besseren Ergebnissen.
Es gibt viele Negativ-Beispiele, die zeigen, dass homogene Tech-Teams in ihren entwickelten Produkten nicht die Gesamtheit der Menschen repräsentieren. Ich denke beispielsweise an die Entwicklung von Sicherheitsfunktionen in Autos, die auf den Europäischen Durchschnittsmann ausgelegt waren, oder Google Photos, das ursprünglich Probleme hatte, Menschen mit dunkler Hautfarbe richtig zu erkennen. Diversifizierte Teams kommen zu besseren Ergebnissen, zudem ist der Erfolg oft nachhaltiger (wirtschaftlich und ökologisch).
Selbst wenn wir mehr Frauen dazu bewegen können, in Tech zu arbeiten, bleibt die Herausforderung bestehen, diese Frauen dort auch zu halten. Die meisten Frauen in meinem Umfeld, die zu Beginn ihrer Karriere sehr technische Berufe hatten, sind in weniger als zehn Jahren (wie ich auch) in Schnittstellenbereiche gewechselt, etwa Produktmanagement oder Projektleitung. Diese Bereiche sind wichtig und die Positionen anspruchsvoll, es bedeutet aber, dass gut ausgebildete Experten an anderer Stelle fehlen.
Ich wünsche mir, dass die Diversity-Debatte bald Geschichte sein wird! Während wir bei der Zahl von MINT-Studentinnen und auch in vielen anderen Bereichen Fortschritte machen, gibt es immer wieder Nachrichten, die mich traurig stimmen. Diese reichen von der geringen Frauenquote in Start-ups bis hin zu den Berichten der letzten Jahre über frauen-unfreundliche Unternehmenskulturen im Silicon-Valley.
Aber ich bleibe optimistisch. Beispiele wie Sheryl Sandberg oder Marissa Mayer inspirieren viele junge Frauen und Männer. Kulturelle Vielfalt sehe ich inzwischen überall: In den meisten Softwarefirmen arbeiten Menschen aus aller Welt zusammen. Hoffen wir, dass sich diese Entwicklung vermehrt auf andere Diversity-Bereiche, wie Geschlecht und Hautfarbe, ausweitet.
Es gibt keinen Weg ohne Steine – und das wäre ja auch langweilig. Da ich einen sehr hohen Qualitätsanspruch an meine Arbeit habe, stehe ich mir oft selbst im Weg. Der Tag hat allerdings nur 24 Stunden, deswegen muss man lernen zu entscheiden, welchen Steinen man aus dem Weg geht und aus welchen man etwas Neues baut.
Die Vorurteile gegenüber Frauen im IT-Umfeld sind nach wie vor präsent.
Die Vorurteile gegenüber Frauen im IT-Umfeld sind nach wie vor präsent. Das fängt bei der Reaktion auf die Studienwahl an (“Warum Informatik? Da sind doch nur Nerds.”), betrifft Professoren an den Universitäten (“Bitte keine Frauenteams, damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht”), und setzt sich im Berufsalltag fort (“Ach, Sie sind nicht die Assistentin?”).
Mich hat das angespornt, stets zu beweisen, dass ich fachlich gut bin. Durch diesen Antrieb war ich oft besser als andere. Ich kann mir vorstellen, dass es vielen Frauen in der Tech-Branche ähnlich geht. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich verstanden habe, dass wir Frauen weder besser, noch schlechter, und erst recht nicht genauso sein müssen wie Männer. Wir sollten lernen, stolz darauf sein, wer wir sind und was wir leisten.
Ich kenne viele tolle Menschen in Tech, zudem viele Organisationen und Freiwillige, die Frauen den Einstieg erleichtern möchten. Ich kann nur allen Frauen raten, diese Untersützung anzunehmen und sie nach dem erfolgreichen Einstieg an die nächste Generation weiterzugeben.