Interview mit Mirjam Bäuerlein, Software Developer bei BRYTER
Interview mit Mirjam Bäuerlein, Software Developer bei BRYTER
In unserer Artikelserie „Women in Tech“ stellen wir inspirierende Frauen vor, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben. Heute im Fokus: Mirjam Bäuerlein, Software Developer bei BRYTER.
Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.
Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Mirjam Bäuerlein
Auch wenn programmieren für Mirjam seit jungen Jahren ein Hobby war, ging es beruflich es erst einmal einen anderen Weg: Office Management, Buchhaltung und Controlling prägten die ersten Jahre ihres Berufslebens, die Arbeit als Hundetrainer die nächsten. Mittlerweile hat sie zum zweiten Mal aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht und arbeitet derzeit als Software Developer mit dem Schwerpunkt auf der Frontend Entwicklung bei BRYTER.
Das Interesse an Computern kommt auf jeden Fall aus meiner Kindheit. Mein erstes Programm – jede Menge verschachtelter If-Else-Bedingungen in Form eines Quizzes – habe ich mit elf Jahren auf dem Schneider CPC464 Computers meines Vaters geschrieben. Die Datasette existiert noch irgendwo in meinem Keller, ebenso wie der Computer selbst und all meine liebsten Spiele dafür. Wirklich verlassen hat mich das Interesse an Technik nie wieder, aber außer als Hobby habe ich es lange nicht weiter verfolgt.
Mein Karriereweg war chaotisch, was ich allerdings mittlerweile als eine meiner Stärken sehe. Ich habe eine Realschule mit kaufmännischem Schwerpunkt besucht. Der naturwissenschaftlich-mathematische Zweig, den ich wählen wollte, kam in meinem Jahrgang nicht zustande. Entsprechend bin ich im kaufmännischen Bereich gelandet für einige Zeit. Außerdem habe ich acht Jahre lang als Trainerin für Menschen mit Hund gearbeitet mit dem Fokus auf Einzeltraining und später zusätzlich deutschlandweiten Seminaren und Workshops. Nach vielen Jahre mit diesen beiden Jobs war es Zeit für eine neue Herausforderung und ich beschloss, ein weiteres mal ein Hobby zum Beruf zu machen. So begann mein Weg in die Software Entwicklung.
Als Quereinsteigerin hatte ich wirklich großes Glück mit meinem Umfeld. Mein Partner hat meine Idee, in die Entwicklung zu wechseln, nicht nur unterstützt, sondern viele, viele Stunden mit mir und Code verbracht.
Mittlerweile habe ich ein kleines Netzwerk an tollen Frauen in Tech aufgebaut.
Die Agentur, in der ich damals arbeitete, hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Arbeitszeit zwischen Office Management und Frontend Entwicklung aufzuteilen und mir damit einen sehr einfachen und unkomplizierten Weg in den ersten Job eröffnet. Mit den Techettes Frankfurt, einem lokalen Verein, der sich für Women in Tech einsetzt, verbindet mich besonders viel: Dort habe ich andere Frauen in Tech Jobs kennen gelernt, Erfahrungen austauschen können und immer direkten, unbedingten Support erlebt. Mittlerweile habe ich ein kleines Netzwerk an tollen Frauen in Tech aufgebaut, mit denen ich immer wieder in Kontakt stehe. Diese Form von “Sisterhood” bedeutet mir sehr viel! Jede einzelne dieser Frauen ist für mich ein Vorbild.
Ich arbeite als Frontend-Entwicklerin bei eine Start-up namens BRYTER. Wir stellen einen Plattform zur Verfügung, mit der sich interaktive Anwendung zur Entscheidungsautomation entwickeln lassen. Die User brauchen dabei keine Programmierkenntnisse und können sich mit unserem No-Code Editor wie mit einem Baukasten ihre Anwendungen zusammenstellen. Ich arbeite zusammen mit einem Team aus Entwickler*innen an unserem No-Code Editor und allen User Interfaces, die dazu gehören. Mein Arbeitsalltag beginnt je nach Tag mit einem Spaziergang durch Frankfurt oder einer Tasse Kaffee auf dem Sofa – wir sind eine remote Company mit Büros in Frankfurt, Berlin und London, deshalb kann ich selbst entscheiden, wo ich arbeiten will. Meine Arbeit spielt sich viel am Computer und in meinem Code Editor ab – genau das, was ich mag. Natürlich gehört Abstimmung mit dem Produktmanager und UX Designer dazu, wir haben aber alles in allem sehr wenig feste Meetingzeiten und jede Menge Zeit für die Produktentwicklung.
Mein größtes und erfolgreichstes Projekt ist “Conference Buddy”: Eine Plattform, bei der die User*innen Leute kennenlernen können, die gemeinsam mit ihnen technische Events besuchen. Ein Onboarding Buddy, nur für Konferenzen. Das ganze fing vor etwas mehr als einem Jahr mit einer Idee an und heute gibt es eine große Community dahinter und immer mehr Konferenzen binden es aktiv in ihr Event ein! Ich habe mich selbst nie wirklich wohl gefühlt, mich in grösseren Mengen von fremden Menschen zu bewegen, deshalb war der Besuch von Tech Konferenzen für mich scheinbar unmöglich. Conference Buddy war also erst mal die Lösung für mein eigenes Problem.
Ich sehe das Problem darin, dass es immer noch zu viele Hürden für Frauen gibt. Mädchen wird in der Schule immer noch gesagt, dass “Jungs in Mathe besser sind” und das “Programmieren eher was für Jungs ist”. Junge Frauen wird bei der Berufswahl häufig immer noch mehr zu typischen Frauenberufen geraten.
Alltagssexismus ist besonders spürbar in männerdominierten Berufen.
In entsprechenden Studiengängen ist die Frauenquote so niedrig, dass viele Frauen sich einfach unwohl fühlen. Alltagssexismus ist besonders spürbar in männerdominierten Berufen. Mittlerweile glaube ich, es braucht vor allem das richtige Umfeld, damit umzugehen. Selbstbewusstsein und eine dicke Haut alleine reichen oft nicht aus. Ein Netzwerk an Menschen, die unterstützen und Mut geben, ist unbezahlbar.
Jeder Bereich profitiert von diversen Teams – und divers darf niemals nur auf “Frauen” bezogen werden. Wie sollen wir Probleme lösen für Menschen, die an der Problemlösung nicht beteiligt sind? Apple’s HealthKit kam 2014 auf den Markt als DIE App für das monitoren von Metriken rund um die eigene Gesundheit: Gewicht, Größe, Puls, Schlaf, Blutalkohol, wenn ein Inhalator benutzt wird… also von A bis Z konnte alles mögliche und unmögliche getrackt werden. Außer die Menstruation. Da hat, wahrscheinlich in einem Team voller Männer, keiner dran gedacht. Es gab Seifenspender die nicht auf Menschen mit dunkler Hautfarbe reagierten. Wir bauen Webanwendungen die nur mit den neuesten Geräten und bester Internetverbindung funktionieren. Algorithmen kümmern sich um Entscheidungen wie Kreditwürdigkeit oder die Anzeige von Jobangeboten – und diskriminieren dabei. Die Beispiele sind endlos. Jeder dieser Fälle wäre verhindert worden, wenn Diversität einen höheren Stellenwert in unseren Firmen hätten.
In naher Zukunft sehe ich kein Ende der Diversity Debatte.
In naher Zukunft sehe ich kein Ende der Diversity Debatte. Sie darf noch lange nicht enden und ich hoffe sehr, es wird bald selbstverständlich sein, dass “Diversity” nicht bei dem Einstellen von 50 Prozent weißer Frauen erreicht ist. Diversität, also Vielfalt, bezieht sich ja bei weitem nicht nur auf die Aufteilung der Geschlechter. Ich finde, das darf bei allen Debatten zum Thema nie vergessen werden.
Ich bin erst in der Tech Branche gelandet, nachdem ich bereits Jahre erfolgreich in anderen Berufen gearbeitet und ein gewisses Selbstbewusstsein aufgebaut habe. Das hat es mir einfacher gemacht, in die Technik einzusteigen. Der Druck ist groß. Ich kenne keine Frau in dieser Branche, die noch nie Vorurteilen und mit teils verletzenden Dingen konfrontiert worden ist, die den Einstieg wirklich nicht einfacher machen. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben in diese Karriere gestartet, in der es nicht mehr leicht ist, mir Steine in den Weg zu legen. Allerdings denke ich, ich wäre bereits viel früher hier gewesen, wenn mir als junges Mädchen klar gewesen wäre, dass dieses Programmieren, was ich zum Spaß gemacht habe, ein Karriereweg hätte sein können.
Wenn ich an Klischees denke – welche sind mir nicht begegnet?! Frauen können nicht logisch denken. Frauen nehmen Karriere gar nicht ernst genug, um gute Programmiererinnen sein zu können. Frauen können nicht weiblich sein und im technischen Beruf arbeiten. Frauen können vielleicht Sachen “hübsche” machen, aber nicht “wirklichen Code” schreiben. Frauen auf den Bühnen sind da nur, weil sie Frauen sind. Und das ist nur der Anfang.
Das grösste Problem, dass sich daraus ergibt, ist die geringe Anzahl an Frauen, die sich überhaupt auf diesen Beruf einlässt und die große Anzahl, die ihn wieder verlässt.
Die Tech-Branche ist viel größer und kreativer als es den Anschein hat!
Die Tech-Branche ist viel größer und kreativer als es den Anschein hat! In vielen Ecken versucht sie mittlerweile, offen und inklusiv zu sein. Es gibt tolle Communities in und um Tech, die sich für Diversity stark machen und die ein toller Rückhalt sein können. Der Weg in technische Berufe ist für Frauen wie für andere Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen nicht immer einfach. Er lohnt sich aber!