Ablenkungen sind Gift für eine produktive und kreative Arbeit, heißt es. Deshalb arbeitet so mancher Entwickler gerne nachts. Aber stimmt es wirklich, dass der Wunsch nach ablenkungsfreiem Arbeiten der Grund für die eher negativ konnotierten Schlaf- und Arbeitsgewohnheiten von Programmierern ist? Was Ursache und Wirkung der Nachtaktivität von Entwicklern ist, darüber lässt sich jedenfalls streiten.
Zu Beginn ein kleines Rätsel: Was haben Elvis Presley, Winston Churchill und Barack Obama gemeinsam? Nun, zunächst haben sie irgendwie komische Namen. Außerdem sind sie bekannt dafür, dass sie gerne unter der Dusche singen. Aber, und dies dürfte das Interessanteste sein, sie sind alle drei bekannt dafür, sogenannte Nachteulen zu sein. Dies behauptet jedenfalls das Nachrichtenportal Independent in einem Artikel über eine spanische Studie, bei der die Leistungsfähigkeit und die induktiven Argumentationsfähigkeiten von Jugendlichen in Verbindung mit ihren Schlafgewohnheiten untersucht wurden.
Auch wenn der Schlafrhythmus dieser Berühmtheiten vielleicht nicht gerade der Grund für deren Bekanntheit ist, ist er vielleicht aber ein Grund für ihren Erfolg. Laut Professor Jim Horne von der Universität in Loughborough zeigt die Studie, dass eher nachtaktive Menschen extrovertierter sind. Die typischen Dichter, Künstler und Erfinder.
Auch Programmierer neigen dazu, die Nacht durchzuarbeiten, wie das Buch „Why programmers work at night“ von Swizec Teller beweisen will. In diesem biographischen Werk verarbeitet der Programmierer die Probleme, die sein Berufsstand mit sich bringt und erklärt, wie man im „Flow“ bleibt.
Warum ist es aber so, dass manche Leute ihre komplexesten, kreativsten und anspruchsvollsten Arbeiten außerhalb des normalen Tagesrhythmus erledigen? Zunächst einmal: Niemand weiß so richtig, weshalb gerade Programmierer nachts am besten arbeiten, sagt Josh Anderson auf DZone.
Die Arbeit am Tag ist voller Ablenkungen. Seien es E-Mails von Kollegen, die dringend Hilfe brauchen, Witze und Unterhaltungen im Büro, Neuigkeiten auf Facebook und Twitter oder Meetings. Diese endlosen und unzähligen Meetings. Für Programmierer ist diese Art der Arbeit extrem unproduktiv, denn die Entwicklung einer App oder von Teilen einer Software setzt es voraus, dass man einen großen Teil seiner geistigen Leistung kreativ und konstruktiv fokussieren muss. Man muss immer die finale Version des Produktes vor Augen haben und wichtige Einzelteile entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen.
Die vielen kleinen Ablenkungen, die der Alltag mit sich bringt, sorgen dafür, dass man den Fokus verliert und das Bild vor dem inneren Auge immer wieder aufs Neue zerstört wird. Nachts hingegen gibt es eine wesentlich geringere Anzahl an Ablenkungen, sodass es möglich ist, stundenlang ohne Ablenkung und ohne Unterbrechung zu arbeiten.
Einen völlig entgegengesetzten Artikel hat kürzlich das Magazin Scientific American auf seiner Webseite veröffentlicht. Nach einer Studie von Mareike Wieth und Rose Zacks haben Menschen besonders dann die Chance auf einen Durchbruch bei einem Problem, wenn sie nicht in bester Verfassung sind. Was im ersten Moment ein wenig fragwürdig klingt, folgt einer nicht von der Hand zu weisenden Logik: Wenn wir ausgeruht und fokussiert sind, dann arbeiten wir konzentriert an einem Problem. Für kreative Ideen ist hingegen wenig Platz, was gerade beim Entwickeln von Software und bei der Suche nach Problemlösungen eher hinderlich ist. Ist man weniger konzentriert und hat seinen Blick durch Müdigkeit nicht fest auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, so fällt es einem leichter, verschiedenste Ideen – mitunter auch gute – auf sich wirken zu lassen und unterschiedliche Quellen der Inspiration zu kombinieren.
Sich neuen Gedanken zu öffnen und Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu können, ist auch für Entwickler nützlich, etwa wenn sie sich mit sehr komplexen Algorithmen auseinandersetzen oder sich Problemen auf Nutzerebene annehmen müssen.
Das größte Problem bei der Arbeit als Entwickler ist, dass diese Art von Arbeit sich nicht einfach in eine fest vorgeschriebene Struktur zwängen lässt. Das Programmieren ist von Natur aus eine sehr kreative Arbeit, ganz ähnlich dem Malen oder Musik machen. Da Projektmanager und Administratoren verschiedene spezifische Aufgaben haben, die nacheinander abgearbeitet werden müssen, eignet sich für sie das Modell 9 bis 5 perfekt. Doch die Arbeit von Entwicklern setzt es voraus, dass sie tief in die Materie eintauchen und möglicherweise Stunden mit winzigen Details verbringen. Dieses Schema deckt sich nicht wirklich mit einem regulären Bürojob.
In einem Artikel aus dem Jahr 2010 beruft sich Robert Alison auf eine Studie von Satoshi Kanazawa von der London School of Economics and Political Science, bei der herauskam, dass Menschen mit höherem IQ eher dazu tendieren, die Nacht als Arbeitszeit zu bevorzugen. Personen mit niedrigerem IQ neigen dazu, ihre Aktivitäten auf die Tagesstunden zu beschränken.
Da Programmieren ein hohes Level an mathematischen Fähigkeiten, lateralem Denken und Logik benötigt und noch dazu von Entwicklern die Fähigkeit abverlangt, präzise und in verschiedenen Sprachen zu schreiben/coden, kann man davon ausgehen, dass sie intelligente Leute sind. Und intelligente Leute neigen offenbar dazu, warum auch immer, spät ins Bett zu gehen.
Was meine Sie? Was ist die richtige Erklärung dafür, weshalb Programmierer dazu neigen, die Nacht zum Tag zu machen? Lassen Sie es uns per Kommentar hier oder auf Twitter wissen!
Aufmacherbild: Businessman sleeping on his laptop von Shutterstock / Urheberrecht: Ollyy