Interview mit Hazel Savage, CEO und Mitbegünderin von Musiio

Women in Tech: „80% aller Jobangebote werden nicht öffentlich ausgeschrieben“

Women in Tech: „80% aller Jobangebote werden nicht öffentlich ausgeschrieben“

Interview mit Hazel Savage, CEO und Mitbegünderin von Musiio

Women in Tech: „80% aller Jobangebote werden nicht öffentlich ausgeschrieben“


In unserer Artikelserie „Women in Tech“ stellen wir inspirierende Frauen vor, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben. Heute im Fokus: Hazel Savage, CEO und Mitbegünderin von Musiio.

Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.

Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.

Unsere Woman in Tech: Hazel Savage, CEO und Mitbegünderin von Musiio

Hazel Savage ist CEO und Mitbegründerin von Musiio – einem Unternehmen, das mit der Hilfe künstlicher Intelligenz die Automatisierung von Workflows im Tech-Bereich der Musikbranche verbessert. Derzeit lebt und arbeitet sie in Singapur.

Wann entstand dein Interesse an der Technologie?

Das war vermutlich der Zeitpunkt, als wir in unserer Familie den ersten Heim-PC bekamen und ich noch zur Highschool ging. Vielleicht aber war es auch der Zeitpunkt, als ich mit elf Jahren mein erstes Handy erhielt – ein Ericson A1018, googelt das einfach mal! Ich bin in diesem lustigen “Zwischenalter”, in dem man noch weiß, wie das war, als man weder Internet noch Mobiltelefon hatte. Aber ich war jung, also fühlt sich Technik trotzdem wie angeboren an.

Für die Musikindustrie, auf die ich mich spezialisiert habe, ist die Technologie oft ein Mittel zum Zweck. Wir hören die Musik, tauschen sie untereinander aus, leiten sie mittlerweile weiter und bezahlen auch dafür über Technologie. Es ist ein komplexes Ökosystem, aber ich habe bereits sehr früh in meiner Karriere erkannt, dass die Menschen, mit denen ich am liebsten zusammenarbeite – die Getriebenen, Schlauen und Ehrgeizigen – sich in den Technologieunternehmen finden lassen.

Wie bist du zur Tech-Branche gekommen?

Ich stamme aus dem Nordosten Englands und bin stolz darauf, dass ich mir noch den größten Teil des Akzents bewahrt habe. Meine Erziehung war wunderbar normal, obwohl die Bandbreite an Ambitionen aus meiner Heimatstadt eher gering waren. Wer die britischen Nachrichten verfolgt, wird vielleicht dieses Job-Quiz der britischen Regierung kennen, welches mit Recht in den letzten Memes verstärkt aufgetreten ist. 1996 wurde ich in diesem Quiz als Busfahrerin abgestempelt. Dieses Jahr habe ich das Quiz noch einmal gemacht und man schlug mir vor, professionelle Fußballschiedsrichterin zu werden. Es ist so, als hätte die Person, die das Quiz erstellt hat, noch nie etwas von dem Internet gehört. Und während das Ganze in den 90ern noch naiv und eingeschränkt war, ist es im Jahr 2020 einfach unverzeihlich.

Ich komme weder aus der Musik- noch aus der Tech-Branche. Vor allem in der Musik ist es schwer, ohne Beziehungen Fuß zu fassen, aber es hat sich herausgestellt, dass man mit unerbittlicher Anstrengung ähnliche Ergebnisse erzielen kann.

Leider sind sowohl die Musik- als auch die Tech-Branche immer noch überwiegend von Männern dominiert, aber ich versuche, das als Chance zu sehen und nicht als Unausweichlichkeit zu akzeptieren.

Unterstützung und Hindernisse

Meine Familie ist großartig und unterstützt mich enorm. Meine Eltern sind beide große Vorbilder für mich. Ich strebe immer nach der harten Arbeitsmoral meines Vaters und danach, die gleiche gute Seele wie meine Mutter zu sein.

Im Freundeskreis ist es eine gemischte Sache. Ich habe immer noch einige großartige Freunde, die ich kenne, seitdem ich 6 oder 7 Jahre alt war und viele großartige Freunde aus den verschiedenen Unternehmen, für die ich im Laufe der Jahre gearbeitet habe, eie z. B. meine Shazam- und HMV-Freunde. Aber wahrscheinlich verliert man, wie jeder Erwachsene, auch ein paar, meist aufgrund der Karriere und des Weges, den ich gewählt habe.

Die Musik- sowie auch die Tech-Branche sind überwiegend männlich geprägt, aber ich versuche, das als Chance zu sehen und nicht als Unausweichlichkeit zu akzeptieren.

Aber es gab natürlich auch Hindernisse! Allerdings gehöre ich zu der Sorte Mensch, die, wenn man ihnen sagt “Das kannst du nicht.” mit “Doch, ich kann das!” antwortet. Allerdings sind meine beruflichen Karriere-Neinsager nichts gegen die aus der Musik-Branche. Wenn ich jedesmal einen Dollar bekommen hätte, wenn man mir gesagt hat “Du hältst die Gitarre nicht richtig”, “Du solltest dieses Instrument nicht spielen” oder “Du solltest nicht in einer Band sein”, dann hätte ich jetzt eine Menge Geld.

Das Schlimmste sind immer die Frauen, die darauf aus sind, andere Frauen runterzumachen. Diejenigen, die ich in meiner Karriere getroffen habe, haben mir gezeigt, was für eine Person ich nicht sein möchte. Ich versuche, mit Blick auf die Vielfalt einzustellen und biete auch anderen Frauen an, Mentorin zu sein, wo immer ich kann.

Auf was bist du in deiner Karriere besonders stolz?

Ich denke gerne, dass mein stolzester Moment noch vor mir liegt und ich kann mir nicht einmal vorstellen, was es sein wird, aber von denen, die schon da waren – da gibt es ein paar. In einem Plattenladen zu arbeiten, als es noch Plattenläden gab, wurde damals wie jeder Mindestlohnjob verachtet, aber jetzt sehe ich, wie viel Glück ich hatte, diese Erfahrung zu machen, die es heute nicht mehr wirklich gibt.

Und am anderen Ende des Spektrums bin ich stolz darauf, 2 Millionen Dollar an Finanzierung für Musiio aufgebracht zu haben.

Warum gibt es nicht mehr Frauen in der Tech-Branche?

Ich glaube, das lässt sich bis zur Bildung zurückverfolgen. Unterbewusst werden Frauen aus bestimmten Fächern, Studienbereichen oder sogar Vereinen gedrängt und sie sehen sich den denselben Pessimisten gegenüber, mit denen ich schon sehr früh konfrontiert war. Ich konnte die Andeutungen, die mir zu verstehen gaben, dass ich etwas nicht kann, zwar ignorieren, aber das kann nicht jeder. Und ehrlich gesagt, warum sollten sie das auch können? Das ist ein Nachteil, der vom ersten Tag an existiert.

Ich hege große Hoffnung für die nächsten Generationen, also Gen Z und Gen Alpha. Sie sind so klug und die meisten von ihnen – Männer, Frauen und nicht-binäre Menschen, die manchmal in ihren Sommerferien ein Praktikum bei Musiio machen – können fast ausnahmslos alle programmieren, unabhängig von der Rolle, für die sie einsteigen, sei es das Musikteam oder sogar Vertrieb und Marketing. Ich bin immer sehr beeindruckt.

Der Mangel an Vorbildern ist allerdings eine Herausforderung. Mein Vorbild für eine weibliche Chefin ist immer noch Captain Janeway vom Raumschiff Enterprise (Star Trek für alle Nicht-Trekkies), weil sie eine unglaubliche Führungspersönlichkeit ist und ich habe noch nie für einen weiblichen CEO wie sie gearbeitet.

In Startups besteht die Herausforderung darin, dass Gründer in der Anfangsphase oft Leute einstellen, die „genau wie sie“ sind. Da die meisten Gründer und finanzierten Gründer männlich sind, ist es sehr häufig der Fall, dass Startups bestehend aus 5 bis 10 oder mehr Personen alle männlich sind. Es ist also schwer für Frauen, in diese Rollen zu kommen. Und selbst wenn sie es schaffen, arbeiten sie mit einem reinen Männerteam, in dem niemand besonders viel Erfahrung in der Arbeit mit vielfältigen Teams hat. Auch das ist eine Herausforderung.

Würde unsere Welt eine andere sein, wenn mehr Frauen im MINT-Bereich arbeiten würden?

Ich habe große Hoffnung für die nächsten Generationen.

Ich denke, es wäre besser, aber es wäre eine langsame Verbesserung, die Jahre braucht, um sich zu entfalten. Ich habe neulich gelesen, dass in der Vergangenheit und auch noch in jüngster Zeit alle Medikamentenversuche in erster Linie mit Männern durchgeführt wurden. Man geht dann einfach davon aus, dass das Medikament bei Frauen genauso wirkt und interagiert, was offensichtlich nicht immer der Fall ist, so dass es einen Verlust an Frauenleben gegeben hat, den wir nicht einmal versuchen können zu messen.
Wenn es mehr Frauen im MINT-Bereich gibt, wird es Fragen geben, wie „Sollten wir das nicht an Männern und Frauen testen?“, weil dann Frauen mit im Team sind. Genauso wie die Auswirkungen erheblich sein werden, werden sie auch schwer zu messen sein.

Die Diskussion über Diversität nimmt an Fahrt auf – wann werden wir erste Ergebnisse aus der Dikussion sehen?

Das kommt darauf an, über welches Land wir sprechen, denke ich. Ich lebe in Singapur. Hier bedeutet Diversität etwas anderes als damals, als ich noch in Australien oder im UK gelebt habe. Jedes Land hat seine eigenen Herangehensweisen und Herausforderungen im Bezug auf Diversität.

Tipps & Tricks

Wie bei allen Gen Alpha’s: „Lernt zu programmieren!“ Das ist eine so wertvolle Fähigkeit. Wenn Ihr anfangt, sucht nach großartigen Startups, denen Ihr beitreten könnt. Man sagt, dass 80 % aller Jobs nie öffentlich ausgeschrieben werden. Lernt also, den nicht ausgeschriebenen Jobmarkt anzuzapfen und Möglichkeiten zu finden (und es gibt tonnenweise Möglichkeiten, das zu tun) und dann… legt euch ins Zeug.

Dominik Mohilo, Redakteur