Interview mit Julie Lerman, selbstständige Beraterin

Women in Tech: „Der Eindruck, nicht dazuzugehören, hält Frauen fern“

Women in Tech: „Der Eindruck, nicht dazuzugehören, hält Frauen fern“

Interview mit Julie Lerman, selbstständige Beraterin

Women in Tech: „Der Eindruck, nicht dazuzugehören, hält Frauen fern“


In unserer Artikelserie „Women in Tech“ stellen wir inspirierende Frauen vor, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben. Heute im Fokus: Julie Lerman, selbstständige Beraterin

Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß.

Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.

Unsere Woman in Tech: Julie Lerman

Julie Lerman

Julie Lerman ist eine selbstständige Beraterin, die als Coach und Mentorin mit Software-Teams auf der ganzen Welt arbeitet. Sie unterstützt dabei die Architektur, Performance und Modernisierung der Software-Praktiken. Sie ist ein Microsoft Regional Director und langjähriger MVP, die seit 30 Jahren Software gestaltet und programmiert.

Man kann Julie in Benutzergruppe und auf Konferenzen, die auf der ganzen Welt stattfinden, antreffen, wo sie über Domain-driven Design, Entity Frameworks und viele weitere Themen spricht. Julie bloggt auf thedatafarm.com/blog. Zudem ist sie die Autorin der hoch anerkannten „Programming Entity Framework“-Bücher und der Data-Points-Kolumne des MSDN Magazins sowie beliebter Videos auf Pluralsight.com.

Was hat dein Interesse für die Tech-Branche geweckt?

An der Hochschule, in den frühen 1980er Jahren, bauten unsere Mathematikprofessoren drei Rechner aus Bausätzen zusammen und unterrichteten einen BASIC-Programmierkurs. Ich war total begeistert davon!

Ein paar Jahre später war ich bei meinem ersten Job und in der gesamten Firma mit 1000 Mitarbeitern gab es einen Computer. Nach ein paar Wochen lag er auf meinem Schreibtisch, weil ich mit ihm Probleme lösen wollte. Ich hatte definitiv ein Händchen dafür und als die Firma immer mehr Computer bekam, kamen die Leute zu mir und baten um Hilfe. Bei meinem nächsten Job gab es ein paar Computer und ein abgenutztes dBase-III-Buch, das ich an mich nahm und herausfand, wie ich den Computer nutzen konnte, um meine Arbeit zu erleichtern. Von da an ging es einfach immer weiter.

Vorbilder und Unterstützer

Meine Familie war immer sehr zuversichtlich, auch wenn sie nicht genau verstanden, was ich tat, aber sie waren beeindruckt. Meine Mutter war immer ein großes Vorbild gewesen. Sie war Schriftstellerin und ihr erster Roman, der 1973 veröffentlicht wurde, war für den Pulitzer-Preis nominiert. Sie war schon immer jemand, der keine Grenzen kennt.

Meine Mutter war immer ein großes Vorbild gewesen.

Als ich jedoch mit dem Programmieren begann, gab es drei Frauen in der lokalen FoxPro-Gemeinde (New York City), und sie nahmen mich unter ihre Fittiche. Ich werde mich immer an sie erinnern und dankbar sein.

Ein Tag in Julies Leben

Ich bin seit etwas mehr als 30 Jahren selbstständig. Mit der Erfahrung, die ich in diesen Jahren gesammelt habe, arbeite ich nun als Coach, um anderen Software-Entwicklungsteams in verschiedenen Unternehmen zu helfen. Ich tue nichts Langfristiges für sie. Ich bin für drei bis fünf Tage da und arbeite mit ihnen an der Architektur.

Vor Kurzem habe ich einen zweitägigen Event-Storming-Workshop für ein Unternehmen geleitet, das in einem Trott feststeckte. Das war interessant. Es war eher eine geschäftliche Übung, die ihnen half, eine neue Perspektive auf ihre Software zu gewinnen und auf welche Probleme sie sich konzentrieren mussten.

Besonders stolz bin ich darauf, dass ich vielen Menschen geholfen habe, zu lernen und ihre Fähigkeiten und Karrieren zu fördern.

Wieso gibt es nicht mehr Frauen in der Tech-Branche?

Ich denke, dass der Einstieg in eine von Männern dominierte Branche ziemlich einschüchternd ist.

Mit mehr Diversity in MINT, wird es für jeden einladender, der daran teilnehmen möchte.

Heute erst habe ich von einer jungen Frau gehört, die großartig in den Bereichen Mathematik und Wissenschaften ist, aber keine Ingenieurin werden will, weil diese Bereiche von Männern dominiert sind. Einer der Gründe, warum ich auf Konferenzen berichte, ist der, dass Frauen in der Software-Branche sehen können, dass sie nicht allein sind und dass wir respektiert werden können. Sie sollen zudem die Möglichkeiten sehen, mit denen man sich miteinander austauschen kann und an Glaubwürdigkeit gewinnt.

Frauen in MINT-Fächern

Vom Unternehmensstandpunkt aus betrachtet, würde es meiner Meinung nach die gleichen Auswirkungen haben, wie in vielen anderen Branchen, wenn eine vielfältige Gruppe von Menschen Produkte, eben jene Produkte, herstellt. Auf sozialer Ebene ist es für jeden, der sich beteiligen möchte, umso einladender, je mehr Diversity wir in MINT haben.

Wann wir Ergebnisse der aktuellen Diversity-Debatte sehen können, kann ich so nicht beantworten, da ich nicht hellsehen kann. Aber auch wenn die Diskussion an Fahrt gewinnt, werden die Hater immer aggressiver. Daher ist es schwierig, irgendeine Form von Aussage zu machen.

Hindernisse & Herausforderungen

Die Tatsache, dass es sich um einen von Männern dominierten Bereich handelt, stellt eine ziemlich große Herausforderung dar. Das unterscheidet sich jedoch in den verschiedenen Gemeinschaften.

Ich spreche auf Konferenzen, damit Frauen in der Softwarebranche sehen, dass sie nicht allein sind.

Ich war wirklich überrascht, dass in der Schweiz und in Deutschland so wenige Frauen an Konferenzen teilnehmen und ich in den USA hingegen zunehmend mehr sehe. Aber es ist der Eindruck, den man bekommt, dass man irgendwie nicht dazugehört (was nicht der Wahrheit entspricht und mich betrübt), der Frauen wirklich fern hält.
Außerdem ist da noch der ungezügelte Sexismsus, den man tagtäglich sieht, auch wenn ich diesen nicht selbst erlebt habe, was aber vermutlich an meinem Alter und jahrzehntelangen Erfahrung liegt. Ich selbst wurde nie daran gehindert in meiner Karriere voranzukommen.

Tipps & Tricks

Mein Tipp ist es, immer das zu tun, was man liebt. Ich bin mit der Auffassung aufgewachsen, dass ich tun kann, was ich will. Die Vorstellung, dass ich durch mein Geschlecht eingeschränkt sei, gab es nicht. Zugegeben, ich hatte eine etwas privilegierte Erziehung. Ich weiß, dass es ist nicht immer leicht ist, einfach seinem Herzen zu folgen. Ich bin betrübt darüber, wenn Frauen sagen, dass sie nicht in die Technikbranche gehen wollen, weil diese so männlich dominiert ist. Der vielleicht wichtigste Tipp ist der, sich einen Mentor zu suchen … vielleicht nicht eine einzelne Person, sondern verschiedene Menschen, denen man vertraut und die einem dabei helfen, den Weg seiner Träume zu gehen.

Madeleine Domogalla


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