Interview mit Marie Godfrey, SVP of Products bei Flexera
Interview mit Marie Godfrey, SVP of Products bei Flexera
Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß. Aus diesem Grund wollen wir hier spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Marie Godfrey ist Senior Vice President of Products bei Flexera, einem Anbieter von Technology Value Optimization (TVO), wo sie die Produktstrategie, das Management und die UX des Unternehmens und der Flexera-One-Plattform überwacht. Flexera One hilft Unternehmen bei der Visualisierung ihres gesamten Vermögens von On-Premises, über SaaS, bis hin zur Cloud. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung in der Tech-Branche und war zuletzt als SVP of Product bei Syncsort tätig. Davor gründete Marie, nach 17 Jahren in verschiedenen Rollen bei CA Technologies, das in New York City ansässige Unternehmen "Excellence in Product Management". Marie ist leidenschaftlich an der Wertschaffung interessiert und hat den Weg für Flexera vorangetrieben, um auf dem Konzept von TVO aufzubauen - um sicherzustellen, dass Kunden eine ganzheitliche Sicht auf ihre Tech-Investitionen erhalten und eine höhere Kapitalrentabilität erzielen können.
Ich bin von Natur aus sehr neugierig. Wenn man meine Eltern fragen würde, so würden sie einem sagen, dass ich von klein auf diejenige war, die ständig nach dem "Warum" fragte und den Status quo in Frage stellte.
Der Weg zur Technik war etwas, in das ich hineingestürzt bin. Mein erster Job nach dem College war bei AT&T, dank eines Freundes der Familie, der dort arbeitete und der sichergehen wollte, dass ich einen soliden Platz für den Start meiner Karriere hatte. Ich wurde schon sehr früh in den eher technischen Bereich des Backend-Systemmanagement im Unternehmen eingezogen - eine perfekte Rolle für jemanden, der den Status quo in Frage stellt. Mein erstes und richtig technisches Projekt war ein "Alle Mann an Deck"-Qualitätssicherungsspike vor einem System-Upgrade. Und ich war begeistert davon. Ich liebte es, jedes kreative Szenario auf die Technologie anzuwenden, um zu sehen, ob ich sie kaputt bekommen kann oder unbeabsichtigte Aktionen auslösen konnte. Bugs zu finden und den Debugging-Prozess zu betreiben, war ein Genuss, ebenso wie die Möglichkeit, meinene eigenen, automatisierten Testcodes und Skripte zu schreiben.
Weiterhin fand ich, dass die Technologie ein sehr ermächtigender Sektor ist, in dem man eine Karriere aufbauen kann. Den größten Teil meiner Karriere habe ich in der kommerziellen Infrastruktursoftware und im Datenmanagement verbracht und bin immer wieder über die über die greifbaren Auswirkungen erstaunt, die Technologie auf das Leben unserer Kunden und deren Kunden hat. So viel von dem, was jeden Tag in der Welt passiert, dreht sich um Technologie, die dazu benutzt wird, um ein Problem zu lösen. Und das ist für mich sehr aufregend und motivierend. Hier kommt mein "innerer Geek" zum Vorschein.
Ich habe mich zu einer Zeit in der Technik hochgearbeitet, in der mehr Frauen damit begannen, mehr Führungspositionen im sogenannten mittleren Management anzugehen. In der ersten Hälfte meiner Karriere war ich ziemlich furchtlos und nahm alles an, was man mir vorsetzte, um Erfahrungen zu sammeln und zu lernen. Ich machte Fehler, lernte viele Lektionen und sah Erfolg. Mit dem Erfolg kam jedoch auch mehr Verletzlichkeit. Manchmal litt ich unter diesen Selbstzweifeln, die einem durch den Kopf gehen, wie zum Beispiel "Bin ich klug genug?" oder "Weiß ich genug?". Außerdem sah ich mich gelegentlich mit hasserfüllten Kommentaren von Kollegen konfrontiert, die mir unterstellten, ich sei nicht "glaubwürdig" oder "gehöre nicht dazu". Es gab eine entscheidende Phase in meiner Karriere, in der die Anfeindungen und Selbstzweifel so stark wurden, dass ich überlegte, den Beruf ganz aufzugeben. Nur dank eines soliden Unterstützungssystems - und der Hilfe anderer - konnte ich mich darauf besinnen, wer ich war und worin ich gut bin. Es war mir dadurch möglich, mich in meiner eigenen Haut wohlzufühlen und die Kritiker ausblenden. Ich konnte meinen Wert beweisen und weitermachen. Die Resilienz hat sich durchgesetzt.
Auf jeden Fall. Ich kann mich glücklich schätzen, die Frau eines netten und großzügigen Mannes und Mutter von drei Jungen zu sein. Mein Mann und ich haben uns für einen Rollentausch entschieden, als die Jungs jünger waren und er eine Zeit lang Hausmann war. Es braucht einen erstaunlichen, gut geerdeten Mann, um diese Art von Rolle in einer Zeit zu übernehmen, in der das nicht die Norm war. Wir hatten unsere Höhen und Tiefen, aber wir haben einen Weg gefunden, es zu schaffen. Ich habe auch einen engen Kreis von Freund*Innen und Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, denen ich bedingungslos vertraue und die mir helfen, diese Karriere zu meistern, über die ich mich sehr glücklich schätzen kann.
Vorbilder sind für mich sehr persönlich. Besonders hervorzuheben ist eine sehr gute Freundin meiner Mutter, auf die ich mich stark gestützt hatte, als ich ein sehr temperamentvolle und eigenwillige Jugendliche war. Sie ist vor ein paar Jahren gestorben, aber ich kann ohne zu zögern sagen, dass ich ohne sie nicht da wäre, wo ich heute bin. Sie hat mich unterstützt und herausgefordert, insbesonders dann, wenn ich Entscheidungen traf, die nicht in meinem besten Interesse waren. Wir erkundeten verschiedene Möglichkeiten mit Situationen umzugehen und ich hatte immer das Gefühl, dass sie und ich "miteinander" sprachen, anstatt dass sie "zu mir sprach" oder "auf mich einredete". Sie war bei weitem eine der stärksten Frauen, die ich in meinem Leben hatte, und ein großartiges Beispiel dafür, wie Frauen anderen Frauen helfen können.
Ich leite die Produktorganisation beim globalen Softwareunternehmen Flexera, einschließlich des Produktmanagements und der User Experience. Meine Organisation hat die Verantwortung für die Produktvision, die Strategie und die Umsetzung dieser Strategie. Meine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass unsere Produkte einen greifbaren Kundennutzen liefern und dass meine Organisation die Ausrichtung der internen Stakeholder bei der Planung und Umsetzung unserer Roadmap leitet. Ich konzentriere mich auf die Technologie, die Geschäftsergebnisse ermöglicht, und auf das Gesamterlebnis für den Kunden sowie auf den Wettbewerbs- und Markterfolg für unsere Produkte und deren Fähigkeiten. Ich bin eine wichtige Entscheidungsträgerin bezüglich unserer Prioritäten und wo wir unsere Zeit und Mitarbeiter*Innen investieren.
So viel von dem, was jeden Tag in der Welt passiert, dreht sich um Technologie, die ein Problem löst, und das ist für mich sehr spannend und motivierend. Hier kommt mein "innerer Geek" zum Vorschein.
Das Ringen mit Unklarheiten und Unsicherheiten, das Finden und Verstehen von Mustern sowie die Umsetzung von Erkenntnissen in die Produktausrichtung machen einen großen Teil meines Tages aus. Was mich antreibt, ist die Talentnutzung unserer Teams, um überzeugende Werte zu liefern. Ich liebe es, bei meiner Arbeit von außen nach innen zu schauen und zu fragen, welche Probleme wir zu lösen versuchen. Jeden Tag treffe ich mich mit Kunden, trainiere Mitarbeiter*Innen im Unternehmen, evaluiere Talente für neue Möglichkeiten, helfe uns bei der Reifung unserer Prozesse und schaue mir Produktfunktionen an, die wir konzipieren, entwickeln oder auf den Markt bringen.
Eine Sache, die ich täglich machen, besteht darin, dass ich mir die Zeit für meine notwendigen Arbeiten nehmen, um diese zu erledigen, damit ich mich voll und ganz auf unsere Meetings konzentrieren kann, die für mich angesetzt sind. Zeit einzuplanen, hilft mir dabei auf das Unerwartete vorbereitet zu sein, was in der Softwarebranche ziemlich häufig vorkommt.
Vor einigen Jahren wurde ich von der Unternehmensleitung darum gebeten, eine Führungsrolle für ein marodes Unternehmen zu übernehmen und es umzukrempeln. Es war ein großes Risiko und mehrere Leute, die mit dem Unternehmen vertraut waren, sagten mir, dass es wahrscheinlich bereits zu spät dafür sei und es nicht transformiert werden konnte. Dennoch nahm ich den Job an und pendelte fast wöchentlich in einen anderen Teil des Landes. Ich verbrachte viel Zeit in unseren Entwicklungszentren auf der ganzen Welt, wo ich mich mit unseren Teammitgliedern austauschte, um über die Technologie und die Probleme zu erfahren und um mich mit unzähligen Kunden zu treffen. Ich musste einige sehr schwierige Entscheidungen in Bezug auf Mitarbeiter*Innen, Prozesse und unsere Produkte treffen. Das Ergebnis war, dass unsere Organisation dazu in der Lage war, das Geschäft wieder auf Kurs zu bringen. Und mit der Zeit konnten wir die Glaubwürdigkeit bei unseren Kunden wiederherstellen.
Es brauchte die Unterstützung der Geschäftsführung und das Engagement der gesamten Organisation, um uns in die richtige Richtung zu bringen. Es war bei weitem nicht perfekt und ich habe auf dem Weg dorthin meinen Teil an Fehlern gemacht. Ich habe durch diese Erfahrung sehr viel gelernt und konnte diese Erkenntnisse seitdem bei anderen Gelegenheiten einsetzen.
Ich muss sagen, dass ich auch heute noch glaube, dass Frauen manchmal das Gefühl haben, sie müssten sich zwischen ihrer Familie und ihrer Arbeit entscheiden. Es gab Zeiten in meiner Karriere, in denen einige Menschen, die mir am nächsten standen, mich fragten, ob es das alles wert sei. Und ich fühlte einen unausgesprochenen Druck, zurückzutreten. Ich bin froh, dass ich diesem Druck nicht nachgegeben habe, aber er war auf jeden Fall da. Technologie kann sehr anstrengend sein, besonders heute, wo sie buchstäblich alles, was wir tun, sehen, fühlen und erleben, mit Energie versorgt. In dieser "always on"-Welt, in der wir leben, fühlen sich diejenigen, die in Technologieunternehmen arbeiten, in gewisser Weise gezwungen, ebenfalls "always on" zu sein. Der Bedarf an kontinuierlicher Wertschöpfung für die Kunden hat zugenommen und damit auch der Druck auf unsere Technolog*Innen. Jetzt kommt noch die Rolle der Ehefrau und Mutter hinzu, besonders in der COVID-19-Ära. Stellt euch vor, dass ihr die Eltern von kleinen Kindern seid, die nicht mehr in der Schule sind, sondern zu Hause lernen. Die Anforderungen an Eltern von kleinen Kindern sind im Moment enorm und ich kenne persönlich mehrere Frauen, die sich fragen, ob sie von ihrer Technologiekarriere zurücktreten müssen, um sich um ihre Familien zu kümmern.
Man muss sich nur die Vorstände oder Führungsteams von Technologieunternehmen ansehen, um zu erkennen, dass es für Frauen immer noch eine Herausforderung ist, die C-Suite zu knacken. Wir sehen mehr Frauen in Rollen wie Marketingleiterinnen und Personalleiterinnen, aber wir haben noch nicht genügend CPOs, CTOs, CFOs und CEOs erreicht. Wir schreiben das Jahr 2021 und wir haben unsere erste weibliche Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten sowie eine rekordverdächtige Anzahl von Frauen in der Regierung. Das ist ein Weckruf für die Technologie. Die Herausforderung hier - ich nenne es lieber eine Chance - ist, dass Unternehmen in Bewegung kommen, wenn es um bewusste Diversität geht. Unternehmen, die die besten Talente anziehen und halten wollen, müssen wirklich Diversität auf allen Ebenen und in allen Rollen demonstrieren. Das beginnt mit Absicht, Zweck und einem Plan.
Der Bedarf an kontinuierlicher Wertschöpfung für die Kunden hat zugenommen und damit auch der Druck auf unsere Technolog*Innen.
Meine Erfahrung aus Gesprächen mit vielen Frauen, die eine Rolle in der Technologiebranche anstreben, ist folgende: Diese Frauen interviewen mich und mein Unternehmen genauso wie wir sie interviewen. Frauen in der Technologiebranche haben die Wahl und potenzielle Mitarbeiter*Innen müssen Beweise sehen und hören, dass ein Unternehmen Frauen in Rollen auf allen Ebenen und in allen Dimensionen unterstützt. Ein Mangel an Beweisen bedeutet einfach, dass diese Top-Talente woanders hingehen. Junge Mädchen jeglicher Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit und Herkunft müssen darin bestärkt werden, dass eine Karriere in der MINT-Branche erfüllend sein kann und geistige Muskeln und Kreativität trainieren kann, was andere Karrieren einfach nicht können.
Es wäre anders, ja. Erfolgreiche Frauen in technologischen Spitzenpositionen werden von vielen Faktoren angetrieben. Eine Mission, einen Zweck und Einfluss auf Menschen und Kultur zu haben, ist einer dieser ausschlaggebenden Faktoren. Frauen neigen dazu, das ganze Bild zu betrachten, wenn es um Erfolg geht - es geht nicht nur darum, die richtigen Zahlen zu erwirtschaften oder im Fall der Technologie, Produkte und Funktionen zu schaffen. Frauen neigen eher dazu, die sozialen Auswirkungen von Innovationen zu betrachten und die Auswirkungen, die die Wissenschaft beispielsweise auf die Fähigkeit eines Landes hat, seine Bevölkerung effektiver und wirtschaftlicher zu ernähren und Technologie potenziell zur Lösung von Problemen in der Lieferkette einzusetzen.
Als Führungskräfte in unseren Unternehmen (unabhängig davon, ob wir in der Technologiebranche oder in einem anderen Bereich tätig sind) müssen wir uns bewusster und zielgerichteter auf die Suche nach Werten, Ergebnissen und Resultaten von überall und von jedem machen. Wir sind noch nicht da, wo wir sein müssten und es gibt noch eine Menge zu tun. Ich kann nicht vorhersagen, wie lange das dauern wird, aber es muss schneller gehen. Ich weiß, dass jeder das sagt, aber es fängt schon in jungen Jahren an - in unseren Häusern und in unseren Schulen. Junge Mädchen jeglicher Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit und Herkunft müssen darin bestärkt werden, dass eine Karriere in der MINT-Bereich erfüllend sein kann und geistige Muskeln und Kreativität trainieren kann, was andere Karrieren einfach nicht können. Wir müssen mehr Mentorinnen einstellen, wir müssen zeigen, wie erfolgreiche Frauen in der Technik aussehen und sich anfühlen, und wir müssen mehr Zeit, Energie und Geld in MINT für die nächste und übernächste Generation investieren.
Investiert Zeit in euch selbst. Seid euch bewusst darüber, wer ihr seid und was euch einzigartig macht. Stellt euch die schwierigen Fragen: Worin bin ich gut? Womit sollte ich anfangen, was sollte ich nicht mehr machen, woran muss ich weiterarbeiten? Umgebt euch mit den wenigen Menschen, die in jedem Fall ehrlich zu Euch sein werden, eurem Zirkel des Vertrauens. Und findet einen oder zwei gute Mentor*Innen, um euch weiter zu entwickeln, aber versucht nicht jemand zu sein, der eurem selbst nicht entspricht.
Was die Tech-Branche selbst angeht, so würde ich Frauen dazu raten, zu bedenken, dass es sich um eine fakten- und datenbasierte Branche handelt. Ihr werdet erfolgreich sein, wenn ihr eine faktenbasierte Sichtweise und Alternativen zu dem zu lösenden Problem einbringt. Seid handlungsorientiert und zögert nicht, an der Diskussion zeilzunehmen. Bereitet euch vor und zeigt Selbstvertrauen mit einer gewinnenden Einstellung. Außerdem solltet ihr ebenfalls offen für Vorschläge anderer sein. Seid "die" Mitarbeiter*Innen, die Ergebnisse liefert und einen positiven Einfluss ausüben und es werden sich Möglichkeiten bieten und Türen öffnen, wenn ihr eine Erfolgsbilanz vorweisen könnt.